Jahrgang 2017 Nummer 1

Als einstmals der Schnee noch meterhoch gewesen ist

Erinnerungen an die Zeit meiner Kindheit bei meinen Großeltern

Meine allerersten Erinnerungen gehen weit zurück in die Zeit der frühesten Kindheit bei meinen Großeltern. Seinerzeit richtete mein Großvater schon beizeiten den großen, hölzernen Schneepflug her, denn nicht selten kam es vor, dass es schon Anfang Dezember zugeschneit hatte. Die kleinen Fenster in dem alten, hölzernen Haus, waren nach Nächten, in denen es ununterbrochen schneite, in der Frühe zugeweht. Mein Großvater schirrte an solchen Tagen schon zeitig in der Frühe die Rösser ein, um dem »Millifahrer« einen notdürftigen Weg zu bahnen. Die Stacheldrahtzäune, hinter denen im Sommer die Kühe grasten, schauten nicht mehr vom Schnee heraus, nur hie und da ragte ein langer Stumpf hervor. Vom Haus hinüber zum Hühnerstall, musste Sofie meine Tante, als erstes ein Wegerl schaufeln, damit die Hühner ihr Futter bekamen und endlich das laute Krähen des Gockels verstummte. An solchen Tagen ließ sogar meine Großmutter ihren alltäglichen Gang in das entfernte Pfarrdörfchen, zur dortigen Frühmesse bleiben. Nur meine Freundin Muschi konnte das zugeschneite Kirchen- und Schulwegerl nicht daran hindern, mühsam zu uns herauf zu stapfen und nur ihre rote Zipfelmütze schaute noch aus dem Schnee heraus.

Einige Jahre später als ich schon in die Schule ging, wurde in der Pause ausgemacht, wann wir uns am Nachmittag zum Schlittenfahren auf der »Bergwiese« treffen wollten. Durch seine lange, steile Abfahrt war er der ideale Berg für die Skifahrer, aber zum Leidwesen dieser, auch für die vielen Schlittenfahrer. Selbst die Kälte konnte uns nicht abhalten, so kamen wir oft sogar ins Schwitzen, wenn wir unseren Schlitten ein ums andere Mal, die lange Abfahrt wieder hinaufgezogen hatten. Es war ein munteres, fröhliches Treiben; dass dabei nur selten zwei Schlittenfahrer zusammen stießen, lag an dem lustigen Sprüchlein, das alle kannten und dementsprechend oft und laut gerufen wurde: »Aus der Boh' - aus der Boh’, hint’n hängt da Deifi dro«. Ja, lustig war’s damals beim Schlittenfahren, da verging die Zeit jedes Mal viel zu schnell und wir mussten uns beeilen, um noch vor dem Dunkelwerden heimzukommen.

Neben Reit im Winkl war auch Traunstein und übers Knappenfeld bis Neukirchen, als typisches »Schneeloch« bekannt. Die unterschiedliche Schneehöhe konnte innerhalb von 30 Kilometer, leicht einen halben Meter ausmachen. Einstmals war auf den meist kleinen, abgelegenen Bauernhöfen für den Winter soweit als möglich an Grundnahrungsmitteln vorgesorgt. Die alltäglichen, notwendigsten Arbeiten beschränkten sich auf Haus und Stall, nur die vollen Milchkannen musste der Bauer dem »Millifahrer« an die nächste Straße bringen. Dazu spannte er ein Pferd vor den Schlitten, um damit durch die Schneemassen zu kommen. Wenn es oft tage- und nächtelang ununterbrochen geschneit hatte, war es auch mit der Holzarbeit im Wald vorbei.

Ein alter Bauer erzählte öfters davon, wie er als junger Bursche damals mit dem Vater auf einem mit Holz beladenen Ziehschlitten obenauf gesessen hatte. Es stürmte und schneite, sodass sie froh waren, vom Wald heraus zukommen. Allerdings gab es keinen Weg mehr, dieser war zugeweht, so plagten sich die Pferde mühsam bis hin zu dem verschneiten Nachbarhof. Fast schon dort angekommen, glaubten beide, mit den Rössern über etwas Hartes, Unebenes gefahren zu sein. Endlich am Hof angekommen, blieben diese stehen und taten keinen Schritt mehr. Der Nachbar war, als er ihr Gefährt herankommen sah, aus dem Haus gekommen, deutete auf die zurückgelassene Schlittenspur und meinte lachend: »S’nächste moi suacht’s eng an andern Weg, als grad über meine sauber aufg’richt’n Meterscheitl’n«. Da hatten sie gewusst, was das Harte, Unebene, gewesen war.

Anfang der 60er Jahre, als ich damals zusammen mit meinem Mann unseren kleinen Einödhof unweit von Traunstein bewirtschaftete, waren seitdem zwar viele Jahre vergangen, doch der Schnee in den Wintern nicht weniger geworden. Jedoch hatte sich das einstmalige Vergnügen, das dieser uns Kindern einmal bereitete, nun in harte, zeitraubende Arbeit gewandelt. Weil sich gerade in diesen Jahren, durch die fortschreitende Mechanisierung, die Existenzgrundlage vor allem auf dem Land gewandelt hatte, wurden die gewaltigen Schneemengen immer problematischer.

Der Bulldog ersetzte die Rösser auf den Höfen, der Bauer aber musste, zumindest auf den kleinen Höfen, einen Nebenerwerb annehmen. So blieb meist der Bäuerin die harte Arbeit auf dem Hof. Die Zeit wurde zunehmend schneller, der Milchfahrer musste mit seinem Wagen voller Milchkannen pünktlich bei der Molkerei ankommen und konnte nicht mehr, wie ehemals, auf einen späteren Nachzügler warten. Auf dem Hof gab es keine Rösser mehr, die Schneewehen aber waren immer noch dieselben und der Schnee meterhoch. Doch der Bulldog von damals, war diesen nicht gewachsen, es gab kein hin und zurück, er blieb im Schnee stecken. Da half nur eines: »Schaufeln, schaufeln«, oft stundenlang.

Unsere Kinder mussten, um in die Schule zu kommen, den Abhang hinunter durch den Wald zur Hauptstraße und von dort noch ein gutes Stück weiter. Zusammen mit den drei Nachbarskindern kämpften sie sich durch den Schnee. Unser Nachbar hatte dortmals noch ein Pferd, mit diesem bahnte er mit einem winzigen Schneepflug den Kindern ein Wegerl hinunter und die sechs Kinder stapften der Größe nach hinterdrein. (Heute erzählen sie, dass es oft recht lustig gewesen sei.)

Ganz und gar nicht lustig war es für viele Leute, so auch für uns, die zeitig in der Früh zur Arbeit mussten. Wenn es tage- und nächtelang durchschneite und ein heftiger Wind dazu blies, gab es auch für den Schneepflug kein Durchkommen mehr. Ein Wochenende bleibt mir unvergesslich; unser »Käfer«, er war nicht der einzige damals, hatte einige Tage »Winterruhe«, denn die Straße von Knappenfeld nach Traunstein war vollkommen zugeschneit. Die Knappenfelder hatten sich, ebenso wie auch wir von unserem abseits gelegenen Hof, mit den Händen durchgeschaufelt, um in die Stadt hinunter zur Arbeit zu kommen. Irgendwann kämpfte sich eine Fräse durch den Schnee, um zumindest eine Fahrspur freizubekommen. Ab und zu gab es auch eine Stärkung in Form einer Flasche Bier, niemand jammerte oder beschwerte sich über ein Schnee-Chaos, es ist halt so gewesen und allen ist es gleich ergangen.


Elisabeth Mader

 

1/2017