Jahrgang 2007 Nummer 10

Als der Herr Pfarrer noch zu Fuß gekommen ist

Wenn der schwarze Mann mit dem Hund auf den Einödhof zu Besuch kam

Vor Kurzem habe ich wieder einmal mein Fotoalbum mit den alten Bildern aus der Kommode herausgeholt in der Hoffnung, in diesem ein ganz bestimmtes Foto aus meiner Schulzeit zufinden.

So habe ich also das Album genommen und war dabei, es mir in meinem Sessel gequem zu machen, als ein Foto aus diesem herausrutschte. Es ist dies eines von den ersten Seiten des Albums gewesen und mit einem fast wehmütigen Lächeln, habe ich das Bild lange betrachtet. Ein Priester ist es, der da vor einem größeren, hübschen Haus steht und ich brauchte nicht lange nachzudenken, wer jener gewesen ist. Ja natürlich ist es der hochwürdige Herr Pfarrer Kandlbinder, der da in seinem schwarzen Priestergewand, das fast bis zum Boden hinuntergereicht hat, vor der großen, schweren Haustür seines Pfarrhauses, das mich in seinem fast herrschaftlichen Baustil, schon als kleines Mädchen so beeindruckt hat, steht. Wie ich nun die Beiden, den Herrn Pfarrer in seinem schwarzen Gewand, würdevoll und respekteinflößend, und vor ihm seinen Hund sitzend, so betrachte, denke ich so bei mir, dass es gar nicht so verwunderlich ist, dass ich mich damals als ganz kleines Mädchen vor Beiden, besonders aber vor Ersteren »so gefürchtet habe«.

Es war zwar auf dem Einödhof meiner Großeltern nicht etwa einsam oder gar langweilig für mich, nein ganz bestimmt nicht, denn mit meinem Großvater als Oberhaupt, der Großmutter, meiner Mutter und den fünf Tanten, (meine drei Onkeln waren an der Front) sind wir ja eine große Familie gewesen. Jedoch ein Fremder ist nicht allzuoft zu uns heraufgekommen, oder doch?

Es ist dies die Nahderin (Näherin) gewesen, der Körbezimmer, auch der Karer, der meiner Großmutter immer die vielen Eier abgekauft hat, dann ist da auch ein paar mal im Jahr, der Hausierer die Anhöhe heraufgeschnauft. Ja und natürlich ist es der Postbote gewesen, der mit seiner riesigen, schwarzen Tasche vorne auf dem Rad, jeden Tag außer einem Brief oder der Zeitung, ein bisschen etwas Neues zu berichten wusste. Diese alle kannte ich schon von meiner frühesten Kindheit, soweit ich zurückdenken kann und obwohl ich einerseits recht schüchtern gewesen bin, so ist mir jedoch schon auch gar nichts entkommen, was sich so alles abspielte auf unserem großen Hof.

Ganz etwas anderes ist es jedoch gewesen, wenn ich eine ganz schwarz angezogene Gestalt auf dem schmalen Weg, die Anhöhe heraufkommen sah. Da hat es auch nichts geholfen, wenn mein Großvater und auch die Großmutter mich immer wieder zu überzeugen versucht haben, dass der Herr Pfarrer mir bestimmt »nichts tut« und ich mich nicht vor ihm zu fürchten brauche. Hat mir auch mein Großvater immer und überall geholfen und ist auch er es gewesen, bei dem ich vor allem auch viel Liebe gefunden habe, so bin ich mir doch, was das mit dem Herrn Pfarrer betroffen hat, gar nicht so sicher gewesen, ob das auch wirklich stimmte, was er mir immer wieder beteuert hat.

So alle 14 Tage am Nachmittag wird dieser schon zu uns gekommen sein dortmals, von dem kleinen Pfarrdorf Hart herüber durchs Holz nach Pittersdorf und seinen Hund hat er zu meinem Leidwesen, auch meistens dabeigehabt. Mein Großvater hat sich jedesmal lange mit ihm unterhalten, zumindet ist es mir immer so vorgekommen. Und während sich die Beiden in der Stube drinnen an den Tisch gesetzt haben, der Herr Pfarrer nach dem langen Gang, erstmal richtig ausgeschnauft hat und die Großmutter mit einem Krug und einem Becher hereingekommen ist, habe ich schon in einem »sicheren Versteck abgewartet«. Um sich zu verstecken, hat es ja genug Möglichkeiten für mich gegeben, irgendwo draußen hinter dem langen Stadel, auf der Wiesen bei den Kühen, oder im Stall drinnen, ganz hinten bei den Kälblein. Erst wenn ich gemeint hatte, dass nun genügend Zeit vergangen ist und der Herr Pfarrer nun doch endlich wieder gegangen sein musste, bin ich vorsichtig wieder aus meinem Versteck hervorgekommen. Doch anscheinend habe ich an solchen Nachmittagen des öfteren gar zu lange dort ausgeharrt, so dass mein Großvater schließlich meinen Tanten »angeschafft« hat mich zu suchen.

Nur wenige Jahre alt musste ich dortmals gewesen sein, denn dass diese mich, zusammen mit dem Großvater, eines schönen Tages unter lauten Schreien: »Lisbeth wo bist den, da Pfarrer is ja scho lang wieda gangen«, vergeblich gesucht haben, das hat mir meine Tante erst neulich lachend erzählt. Ich habe ihr fast ungläubig zugehört, wie diese mir geschildert hat, wie das damals gewesen ist, als sie mich endlich, erleichtert aber auch lachend, in meinem Versteck gefunden haben.

Wo ich gewesen bin?

Auf dem großen Heuboden, zu dem eine hohe Stiege vom Hof unten hinaufgeführt hat, bin ich ganz hinten, bei einem hochaufgerichteten Heustock, direkt neben dem großen Futterloch, durch das meine Tanten im Winter das Heu in den Stall hinunterschmissen, auf dem Bretterboden gehockt.

Wehmütige Gedanken sind es, die mich beschleichen. Was wird das kleine Mädchen von damals, mit den zerzausten Haaren, das sich dort im hintersten Eck’ der Heirem, die kleinen Hände in seinen Schürzeltaschen, ein sicheres Versteck ausgesucht hat, wohl gedacht haben? So gerne würde ich es wissen.

Elisabeth Mader



10/2007