Als damals auch zu Elsbeth das Christkind kam
Eine Geschichte aus dem Kriegsjahr 1944
Es war im Spätherbst 1944, als eines Tages auf Mittag zu hinter unserem großen Stadel ein Mädchen hervorkam. Ich war mit meiner Großmutter alleine auf dem Hof, diese hatte gerade mit dem Kochen angefangen damit das Essen rechtzeitig fertig wurde, wenn mein Großvater, die Mutter und meine Tanten von der Feldarbeit hungrig heimkamen. Ich hatte das blonde Mädel als erstes gesehen, das nun langsam auf mich zugegangen war. Als wir uns schließlich gegenüber standen viel mir als erstes auf, dass dieses ganz »mager« und dünn gewesen ist.
Scheu fragte sie mich, ob wir ein bisschen was zu Essen für sie hätten. Ich nickte nur, nahm sie bei der Hand und lief mit ihr zur Großmutter in die Küche. Diese machte dem hungrigen Mädchen erst einmal ein großes Butterbrot und stellte dazu ein Haferl Milch auf den Tisch. Nach einer Weile, als der größte Hunger vorbei war, erzählte es nun weinend, sie habe mit der Mutter ihre zerbombte Heimatstadt verlassen müssen. Auf die Frage meiner Großmutter ob sie denn schon eine Bleibe gefunden hätten, nickte das Mädchen und deutete in Richtung Grilling, dem kleinen Weiler mit etlichen Höfen.
Jetzt getraute auch ich mich endlich, diese nach ihrem Namen zu fragen. »Elsbeth heiße ich«, meinte sie zu mir. »Und du?«, war ihre Frage. »Ich heiße fast so wie du, ich heiße Lisbeth«, sagte ich daraufhin zu ihr. Jetzt mussten wir beide lachen und meine Großmutter meinte zu uns, dass wir ja eigentlich denselben Namen hätten.
Auf mein Bitten hin durfte Elsbeth nun noch mit mir in der Küche zu Mittag essen, dabei haben wir noch festgestellt, dass wir auch gleich alt waren. So kam es, dass Elsbeth von nun an öfters in der Woche das Kiesstrassl herauf nach Pittersdorf gekommen war und meine Großmutter hatte jedes Mal auch für ihre Mutter etwas eingepackt.
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Es war Winter geworden und nur noch ein Tag bis zum Heiligen Abend. Damals spannte mein Großvater schon gleich nach der Morgensuppe den großen, hölzernen Schneepflug vor die Rösser, denn es hatte viel geschneit in der Nacht. Ich zog mich warm an und stapfte auf den Hof hinaus. Gerade zogen die Rösser schnaubend den Schneepflug um die Hausecke und quer über den großen Hof an mir vorbei. Mein Großvater rief zu mir herüber, dass er jetzt das schmale Strassl nach Grilling hinunter »ausräumen« würde, und ob ich mitgehen wolle? Natürlich wollte ich. Also watete ich neben dem Großvater her in Richtung Grilling obwohl es wieder zu schneien angefangen hatte. Kurz dachte ich daran, vielleicht doch lieber zur Großmutter in die warme Küche zurück zu stapfen, als ich noch vor dem Großvater die kleine, nur halb aus dem Schnee herausschauende, Gestalt, die mühsam auf uns zukam, entdeckt hatte. Elsbeth war es, die weinend und frierend jammerte, dass sie wieder solchen Hunger habe.
Da sagte der Großvater: »Es zwoa gehts iatz hoam, d'Elsbeth muaß was Warm's o ziag'n und was g‘'scheit's ess'n«. Als die Großmutter ihr schließlich aus den nassen Sachen half, brachte ich etliche warme Sachen von mir, die das durchgefrorene Mädchen dankend anzog. Auf dem Küchentisch stand ein großes Haferl heiße Milch und ein Butterbrot mit Marmelade dazu, zum Aufwärmen, meinte meine Großmutter. Als ich Elsbeth hernach in der Stube drinnen noch meine beiden Kätzchen zeigte, musste sie sogar herzhaft lachen. Doch auf meine Frage, ob das Christkind morgen auch zu ihr käme, da sagte sie nur traurig, dass das Christkind heuer nicht zu ihr kommen würde, das hätte die Mutter zu ihr gesagt.
Bald darauf machte sich das Mädchen auf den Heimweg, nicht dass der Weg wieder zugeschneit war. Die Großmutter packte noch Brot und etliche Eier für sie zusammen, ich begleitete sie noch bis zum Stadel und winkte ihr noch lange nach. An diesem Nachmittag hatte ich, mit meinen fünf Jahren, mit dem Großvater etwas sehr wichtiges zu bereden und am Abend schlief ich zufrieden ein.
Es ist ein kalter Morgen gewesen an diesem Heiligen Abend 1944, doch in der Küche und Stube drinnen hatte die Großmutter schon warm eingeheizt. Am Vormittag hatten die Erwachsenen noch viel Arbeit, damit am Abend alles fertig gerichtet war.
Gleich nach dem Mittagessen hatte ich den Großvater am Joppenärmel gezogen und ungeduldig gefragt, wann wir nun endlich fahren würden. Bald darauf stand ich, warm angezogen wartend vor der Haustür, wo ich gleich darauf zum Großvater auf den Schlitten, vor den er den »Blass« gespannt hatte, hinaufgesprungen war. Ein kurzes »Wüah-Blass« und wir fuhren hinüber nach Grilling und holten Elsbeth ab.
Es ist schon auf vier Uhr zugegangen, als wir uns mit dem Gefährt wieder dem einsamen Hof näherten. Es hatte immer dichter zu schneien angefangen und weit und breit war keine Menschenseele zu sehen. Auch keine Wegspur, die vielleicht auf ein Pferdefuhrwerk hindeuten könnte. Da hatte Elsbeth, die vor Überraschung und Freude bis jetzt kaum ein Wort gesagt hatte, plötzlich zwei Rehe entdeckt die zur nahen Futterkrippe sprangen. Dann endlich sind wir daheim gewesen.
Meine Mutter und die Tanten hatten sich heute mit der Stallarbeit »geschickt«, sodass um sechs Uhr schon alle zum »Aufdnachtessen« beisammen saßen. Hernach meinte meine Mutter wir sollten noch mit ihr in den Stall gehen zum »Kühe wässern«, bevor das Christkindl kam. Elsbeth jedoch glaubte noch immer nicht, dass dies auch an sie denken würde.
Da endlich – ein helles Glöcklein war aus der Stube drinnen zu hören: »Iatzt is kema«, sagte ich aufgeregt zu der Zweifelnden, nahm sie bei der Hand und gemeinsam liefen wir in den Hausgang und hin zur offenen Stubentür.
Da stand der Christbaum, mit vielen bunten Kugeln und silbernen Lametta, die Kerzen brannten und erleuchteten die Stube in heimeligen Licht. Ganz andächtig standen wir eine zeitlang an der Tür, erst auf das Nicken des Großvaters hin, war ich mit ein paar Schritten vor dem geschmückten Baum. Ich staunte nicht wenig was da alles unter dem Baum lag. Dicke Socken, eine Wolljacke, ein Schürzelstoff und Handschuhe aus Schafwolle. Für den Großvater ein Tabaksbeutel für seine lange Pfeife und ein schwarzes Samtband für die Großmutter. Aber dort drüben, das war ja das blecherne Puppengeschirr das der Hausierer einmal aus seinem Koffer hervorholte. Daneben entdeckte ich ein Armband mit roten Herzen und eine dicke Wollhaube lag daneben.
Jetzt hatte der Großvater zu Elsbeth, die noch immer staunend neben der Tür gestanden war, gemeint, sie solle doch mal nachschauen, was ihr das Christkind gebracht hatte. Da lag ja noch ein Herzerlarmband, daneben auch noch dicke Socken und lange, warme Strümpfe. Auch ein großer Teller mit Äpfel und Guteln war für sie hergerichtet.
Als das Mädchen endlich begriffen hatte, dass dies alles ihr gehörte, da wurden ihre Augen ganz groß, sie faltete die Hände, schaute zum Christbaum und leise hörten wir sie sagen: »Vergelt's Gott Christkindl, dass du mich nett vergessen hast«. Da habe auch ich mich erst richtig über meine Christkindlsachen freuen können und beide haben wir die Großeltern ganz fest bei der Hand genommen.
Da plötzlich zerriss ein Schuss draußen die Stille, wir horchten erschrocken auf, als Tante Marie uns beruhigte, dass das nur der alte Sepp, der Knecht vom Nachbarn drüben gewesen ist, der jedes Jahr das »Christkindl anschießt«.
Bald war es draußen wieder mäuschenstill geworden, auch der Wind hatte aufgehört, nur ein paar einzelne Flocken wirbelten noch vom Himmel in dieser Christnacht 1944, in der wir damals drinnen in der heimeligen Stube gemeinsam um Frieden gebetet haben.
Elisabeth Mader
51/2014