Jahrgang 2005 Nummer 17

Als bei uns Bomben vom Himmel fielen

Zur Erinnerungsausstellung in der Alten Wache im Rathaus ab 29. April 2005 – Teil II

Das Bahnhofsgebiet Traunstein nach der Zerstörung durch den Luftangriff vom 18. April 1945. Dokumentiert noch am gleichen Tag du

Das Bahnhofsgebiet Traunstein nach der Zerstörung durch den Luftangriff vom 18. April 1945. Dokumentiert noch am gleichen Tag durch ein Aufklärungsflugzeug der US-Air Force. (Bisher unveröffentlichte Aufnahme)
Das Bahnhofsgebäude nach dem Luftangriff vom 18.4.1945.

Das Bahnhofsgebäude nach dem Luftangriff vom 18.4.1945.
Das Trümmerfeld Bahnhof und Umgebung. Im Hintergrund die evangelische Kirche.

Das Trümmerfeld Bahnhof und Umgebung. Im Hintergrund die evangelische Kirche.
Mittwoch, der 18. April 1945 war ein relativ schöner Frühlingstag, über unserem Gebiet lag eine Dunstschicht und der Himmel war durch Hochwolken ziemlich bedeckt, die Sicht reichte etwa bis zu den Hausbergen.(14) Aber drohendes Unheil lag buchstäblich in der Luft. Morgens um 4.30 Uhr und dann noch einmal um 9 Uhr und 11.15 Uhr gab es Kleinalarme, bis dann um 13.45 Uhr die Luftschutzsirenen Hauptalarm verkündeten. An diesem Mittwoch waren insgesamt 767 schwere Bomber und als Begleitschutz 705 Jagdbomber der 8. US-Luftflotte von ihren Stützpunkten in England gestartet, um Ziele in Pilsen, Kollin, Passau, Traunstein, Rosenheim und Freising anzugreifen. Im Luftraum über uns war also allerhand los.

Auf dem Turm der Stadtpfarrkirche, und zwar auf dem »Balkon« waren wie bei jedem Luftalarm Luftbeobachter der Flieger-HJ im Einsatz. Diese Luftbeobachter hatten den Auftrag, anfliegende Feindflugzeuge nach Anzahl, Flugzeugart, Flughöhe und Flugrichtung mittels Feldtelefon an die Wache der Schutzpolizei im Rathaus zu melden. Außer den Luftbeobachtern waren um die Mittagszeit auch noch der zweite Bürgermeister Aigner und der Scharführer der HJ-Feuerwehr Sepp Eichschmid auf dem »Balkon«. Gegen 14 Uhr rief ein Beobachter »Bomberformation aus Richtung Süden – über den Gipfeln zwischen Felln und Gern im Anflug – Flugrichtung Norden – keine Begleitjäger sichtbar.«(15)

Bei dem einfliegenden Verband handelte es sich um schwere amerikanische Bomber vom Typ B-17 der 8. US-Luftflotte und zwar waren es die 401. und die 351. Bombergruppen des 94. Geschwaders mit etwa 60 Flugzeugen. Diese Zahl deckt sich auch mit den Feststellungen von Sepp Eichschmid. Der Kampfverband hatte den Auftrag, das Umspannwerk in der Wegscheid, den Bahnhof Traunstein und dann den Bahnhof in Freising zu bombardieren.(16) Eine der ursprünglich drei Bombergruppen, die 457. Bomber Group, drehte vor Traunstein ab in Richtung Freising und der Gruppenführer Captain Rollins meldete seiner Einsatzleitstelle, dass seine Gruppe zwar Traunstein als primäres Ziel angeflogen habe, er aber wegen schlechter Sicht ohne zu bombardieren nach Freising als zweites Ziel abgedreht habe. Die 60 verbliebenen Bomber flogen Traunstein an und schon aus größerer Entfernung setzte eine der Führungsmaschinen, der sogenannte Pfadfinder, die Zielmarkierung. Dies war ein riesiger liegender Rauchzylinder, der den nachfolgenden Flugzeugbesatzungen das Ziel »Bahnhof« eindeutig zeigte. Dann ging es los. In vier Wellen wurde der Bahnhof mit insgesamt 180 Tonnen Sprengbomben angegriffen. Der Abwurf erfolgte aus der üblichen Höhe von etwa 6000 Metern. Eine der Führungsmaschinen versuchte mehrmals, im Tiefflug den Viadukt zu treffen. Dies gelang nicht; die Bomben detonierten östlich des Viadukts und auf der Weinleite.(17)

Der Traunsteiner Pfarrer Nicol hat den Angriff aus unmittelbarer Nähe erlebt. Er befand sich im Eingangsraum der evangelischen Kirche und konnte die Vorgänge durch ein kleines Fenster beobachten. Hier ein Auszug aus seinem Bericht: »... Als die ersten Bomben herabrauschten und mehrere von ihnen in unmittelbarer Nähe der Kirche explodierten, verfinsterte sich infolge der in die Luft geschleuderten Erdmassen die Umgebung in wenigen Sekunden so sehr, dass völlige Dunkelheit eintrat. Erst nach mehreren Minuten begann es langsam wieder zu dämmern. Der Fliegerangriff dauerte insgesamt etwa eine halbe Stunde. Welch ein grauenvoller Anblick bot sich dem Auge dar, als man nach der Entwarnung ins Freie gehen und Umschau halten konnte. ... Ein Gang zum Bahnhof und in seine Umgebung vermittelte einen ersten Eindruck von dem Ausmaß der zerstörenden Wirkung des Fliegerangriffes. Was das Auge erblickte, war ein Bild grauenhafter Verwüstung. Das Bahnhofsgebäude war nur noch ein Trümmerhaufen. Die Gleisanlagen hatten sich in einen wirren Knäuel von verbogenen Eisenbahnschienen und Trümmerstücken aller Art verwandelt. Das bedeutet, dass der Eisenbahnverkehr auf Monate hinaus unmöglich geworden war. ...«.(18)

Einen tiefen Einblick in die schrecklichen Ereignisse dieses Tages bietet auch der Bericht von Karl Rosenegger: »...Etwa um 14 Uhr kam der Angriff. Am Waldhof fielen zwei Bomben, der Hileckerbauer Albert Schroll von Hart, mit dem Fahrrad auf dem Heimweg von Siegsdorf, wurde von einem Splitter verletzt und starb kurz darauf im Krankenhaus. Ein zehn Monate altes Kind vom Waldhof wurde von einem Glassplitter am Auge verletzt. Eine dritte Bombe schlug unmittelbar südlich vom Schuhböck ein, krepierte aber nicht. Auf der Nordseite des Dorfes, am Bahnübergang hinter dem Schwaigeranwesen und gegenüber vom Haus Siegerstetter lag ein Volltreffer. Er durchschlug die Gleise und riß den Bahndamm auf, seine Splitter beschädigten auch das Haus Siegerstetter. Der Bahnkörper in Richtung Oberhaid und Traunstein war durch Hunderte von größeren und kleineren Trichtern verwüstet. Es fielen vor allem Spreng- und Splitterbomben. Eine Splitterbombe richtete besonderes Unheil an. Am Tag zuvor waren Batschkadeutsche in Haslach angekommen. Elf von ihnen saßen gerade vor dem Haus Lapper, als eine circa zwei Zentner schwere Bombe fünf Meter von ihnen auf die Straße schlug. Acht Personen wurden sofort getötet. Beim Öslbauern wurde eine weitere Batschkadeutsche von einem Splitter tödlich getroffen, der wohl an die 300 Meter geflogen war. In Unterhaid erhielt das Haus Mader einen Volltreffer und stürzte ein. Sieben Personen fanden den Tod, wie durch ein Wunder konnten drei nur leicht verletzte Personen aus dem Haus geborgen werden. ... Ein trostloser Anblick war der total zerstörte Bahnhof Traunstein. Ein Trichterfeld ohnegleichen, das ganze Bahnhofsgelände umgeackert, Eisenbahnwagen und Schienen übereinander geworfen, die Öltanks herausgeschleudert und die Baywa in Rauch und Flammen gehüllt. 124 Tote waren zu beklagen. Das Unterwerk in Wegscheid war nur unwesentlich beschädigt. ...«.(19)

Soweit die Situationsschilderungen von Pfarrer Nicol und Karl Rosenegger. Auch die sogenannte Büttner-Chronik der Stadt Traunstein vermittelt einen Eindruck des Geschehens: »...In der Straße auf dem Wege zur Wegscheid befinden sich große Sprengtrichter. Gegenüber der Bahnanlage erreicht unser Blick das große Lagerhaus der Bayer. Warenvermittlung (Baywa), welches in hellen Flammen steht. Das Feuer schlägt aus den Büro- und Wohnräumen meterhoch heraus. Nachdem die Wasserleitung dorthin zerstört wurde, kann der Brand nicht gelöscht werden. Die dort eingelagerten Warenvorräte, wie Mehl, Getreide, Zucker und Kartoffeln wurden eine Beute des Feuers. Das Gelände vom Lagerhaus bis zur Güterhallenstraße ist ein einziges Trichterfeld, das von Brettertrümmern der dort aufgestellten Bretterlager übersät ist. Man hat große Mühe an den einzelnen Trichtern vorbeizukommen. Es fällt einem schwer festzustellen, wo man sich befindet. Das Ökonomieanwesen Spiegelsberger nebst Wohnhaus ist durch Volltreffer verschwunden. Der Besitzer Josef Spiegelsberger fand unter den Trümmern den Tod. Von den vier zur Theresienstraße liegenden kleinen Wohnhäusern wurde das gegen Süden liegende schwer beschädigt. Das Wohnhaus und die geräumigen Lagerschuppen des Baumaterialienhändlers Schneider an der Güterhallenstraße sind völlig ausgebrannt. Das gegenüber liegende Betriebsgebäude der Güterabfertigung nebst der Güterhalle wurden durch Bomben vollständig vernichtet. Die Familie Lautner fand hier den Tod. Das neben der Bahnunterführung gelegene bahneigene Gebäude ist verschwunden. Die Bahnunterführung durch Volltreffer eingestürzt. Das an der Ecke Theresien-Güterhallenstraße gelegene Wohngebäude Schlecht-Weininger ist zur Hälfte weggerissen. Eine Mitarbeiterin des Gärtnereibetriebes wurde erschlagen. In der Kernstraße wurden zwei Häuser des ehemal. Viehhändlers Holzer schwer beschädigt. An der Straßenunterführung der Wasserburgerstraße wurden mehrere Bomben geworfen und das Bahngeleise getroffen. Im anstoßenden Hofraum des Autogeschäftsinhabers Ferdinand Huber wurden die Einstellräume schwer beschädigt. Die an der Bahnstrecke nach Salzburg gelegenen Büro- und Werkstättenräume der Bahnmeisterei wurden durch den Luftdruck die Böschung hintergeworfen. ...Einen ganz vernichtenden Eindruck macht der ansehnliche Bau des Hotels zur Krone. Nur ein ganz kleiner Teil dieses Gebäudes steht noch. ... Zwei Töchter der Besitzerin Maier –18 und 20 Jahre alt – sowie verschiedene hier Zuflucht suchende Passanten und Gäste fanden unter den Trümmern den Tod.... Vom Bahnhofsgebäude stehen nur noch die zwei gänzlich ausgebrannten Seitenflügel. ... man sieht nur Trümmer und wieder Trümmer. ...«.(20)

Unmittelbar nach der Entwarnung begannen die Hilfseinsätze. Dazu wurden alle erreichbaren Kräfte eingeteilt. Angehörige der Bereiche Rotes Kreuz, Polizei, Wehrmacht, Volkssturm und HJ halfen, zusammen mit vielen Zivilisten, so gut sie konnten. Die Verletzten mussten versorgt und die vielen Toten geborgen werden. Dazu kam die Unterbringung und Erstversorgung der zahlreichen obdachlos gewordenen Personen vom Greis bis zum Baby. Später kamen noch viele Arbeiter hinzu, die in drei Schichten Tag und Nacht in wenigen Tagen einen provisorischen Schienenstrang legten.(21) Bereits am 25. April, also nur eine Woche später, fuhr wieder ein Zug durch Traunstein.

Zusammenfassend muss man sagen, dass dieser Luftangriff für Traunstein verheerende Folgen hatte. Am schlimmsten aber war, dass dabei 120 Personen getötet wurden. Die Anzahl der Verletzten wurde nicht bekannt gegeben. Eine Woche später, am 25. April 1945, erfolgte der vierte und letzte Luftangriff auf unser Gebiet. Es war ein klarer, föhniger Frühlingstag und rundum blühte es schon. Um Mitternacht gab es bereits Großalarm und von 8.30 Uhr bis 15 Uhr war praktisch ein Luftalarm nach dem anderen. Für die feindlichen Luftstreitkräfte und für die deutsche Luftabwehr war es ein Großkampftag. Hunderte amerikanischer und britischer Bomber flogen in das Reichsgebiet ein. Der Hauptangriff galt dem Obersalzberg, aber auch Salzburg, Bad Reichenhall, Hallein und Traunstein wurden heimgesucht. 56 Bomber des Typs B-24 der 2. Division der 8. US-Luftflotte hatten den Auftrag, das Umspannwerk der Reichsbahn in der Wegscheid zu zerstören.(22) Der erste Anflug erfolgte um 11.15 Uhr. Auch hier bietet die Geschichte der Gemeinde Haslach von Karl Rosenegger einen beeindruckenden Überblick: » ... Um 11.15 Uhr fielen beim Bachmaier in Axdorf 20 schwere Bomben. Das Zuhaus wurde total zerstört, Frau Pemler und ihr Sohn Rudolf wurden schwerverletzt geborgen, starben aber noch am gleichen Tag im Krankenhaus. Sohn Adolf wurde glücklicherweise fast unverletzt aus den Trümmern geborgen. Die Nanni Bachmaier, eine Frau von 80 Jahren war gerade beim >Schmarrnessen<, als der Einschlag erfolgte. Als man sie aus den Trümmern unter Staub und Dreck herausholte, konnte man feststellen, dass ihr gar nichts passiert war, ja nicht einmal den Schmarrnlöffel hatte sie aus der Hand gelassen...

Eine Frau Dr. Auracher aus Mühlen, die gerade zur Stadt wollte, hatte sich mit Pferd und Wagen unter den Schutz eines Hauses geflüchtet und dabei den Tod gefunden. Schwer beschädigt wurde auch das Anwesen des Johann Bachmaier und das Haus seines Bruders Georg, in dessen Keller sieben Personen saßen. Der Keller wurde zum Teil verschüttet, doch niemand erlitt schwere Verletzungen. Die Bomben, ihre Trichter hatten zehn Meter Durchmesser und fünf Meter Tiefe, galten wohl der circa 250 Meter südlich liegenden Bahnanlage.

Schlimm genug sah es auch im nördlichen Teil der Gemeinde aus. Der Hauptangriff hatte dem Unterwerk bei Wegscheid gegolten. Eineinhalb Meter vor der Haustüre des Hoffmannhauses schlug eine Bombe ein, öffnete einen mächtigen Trichter und richtete im Haus große Verwüstungen an. Die Bewohner waren im Keller und blieben unverletzt.

In Richtung Oberhaid fielen Spreng- und Splitterbomben in Massen. Das Unterwerk war schwer zerstört, ebenso die Gleisanlagen. In Oberhaid war das Haus Marterer zusammengestürzt, das Haus Bachmaier aufgerissen, das Haus Meier zur Hälfte zerstört, das Haus Steiner in der Wegscheid schwer demoliert und das Haus Schneider total verschwunden...«.
Bei diesem Angriff wurden elf Menschen getötet.

Der Verfasser hat mit dieser Arbeit versucht, die entsetzlichen Ereignisse vom 11.11.1944, 20.1.1945, 18.4.1945 und 25.4.1945 in Kurzfassung und so objektiv als möglich darzustellen. Die ungekürzte Dokumentation wird im Jahrbuch 2005 des Historischen Vereins für den Chiemgau zu Traunstein erscheinen.

Quellennachweis:
14: Aussage: Schwankner Sepp, Traunstein,
15: Eichschmid Sepp, unveröffentlichtes Manuskript ohne Titel und Datum,
16: Combat Chronology of the Eight Air Force – 18.April 1945 -,
17: Aussage: Schwankner Sepp, Traunstein und Eichschmid Sepp wie oben,
18: Evers Gerd, Traunstein 1918-1945, Drei Linden Verlag, Grabenstätt, 1991,
19: Rosenegger Karl, siehe oben,
20: StATS, Büttner-Chronik,
21: Chronik der Familie Miller, Traunstein,
22: Combat Chronology, wie oben.

AS


Teil 2 in den Chiemgau-Blättern Nr. 16/2005



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