Jahrgang 2011 Nummer 32

600 Jahre Königlich privilegierte FSG Ruhpolding

Von der Verteidigung der Heimat bis zur Bewahrung der Tradition

Fahnenweihe 1909: Hinten 3. von rechts Bartholomäus Schmucker, der von 1919 bis 1933 Bürgermeister war.

Fahnenweihe 1909: Hinten 3. von rechts Bartholomäus Schmucker, der von 1919 bis 1933 Bürgermeister war.
Gebirgsschützenhauptmann und Schützenmeister Joseph Dillis aktivierte 1802 die Ruhpoldinger Schützen.

Gebirgsschützenhauptmann und Schützenmeister Joseph Dillis aktivierte 1802 die Ruhpoldinger Schützen.
Schützentracht 1845.

Schützentracht 1845.
Gerade in Bayern haben Schützengesellschaften eine große Bedeutung, heute genauso wie schon vor Jahrhunderten. Sie waren seit jeher mit der Geschichte des Landes und der jeweiligen Region eng verbunden. So auch die »Königlich privilegierte Feuerschützengesellschaft Ruhpolding«, die in diesen Tagen ihr 600-jähriges Jubiläum feiern kann.

Der Ursprung von Schützengesellschaften geht auf den Selbstschutz der Bevölkerung und die Landesverteidigung zurück. Von der Mitte des 14. Jahrhunderts an lassen sich so zum Beispiel in Bayern fünf Teile der bewaffneten Macht unterscheiden, darunter das Landaufgebot der Bauern, denn jeder Wehrfähige war aufgrund des Königsdienstes zur Verteidigung des Landes verpflichtet. Im Chiemgau ist dieser Selbstschutz der Bevölkerung seit dem Anfang des 15. Jahrhunderts bekannt. Und so war es natürlich für einen Grenzort wie Ruhpolding auch unerlässlich, sich im Umgang mit Waffen zu üben. Es mögen sich die wehrfähigen Männer zunächst zwanglos zusammen gefunden haben, doch die gemeinsame Betätigung wird bald eine Organisation verlangt haben. In diese Zeit fällt auch die Gründung der Ruhpoldinger
Schützenvereinigung.

Ob das Gründungsjahr 1411 richtig ist, lässt sich nicht mit Sicherheit beweisen, denn die Vereinsurkunden, die bis zum Jahr 1510 zurückreichten, sind um 1890 abhanden gekommen. 1910 stellte der damalige Bürgermeister und Landtagsabgeordnete Georg Eisenberger, genannt der »Hutzenauer«, in der Beilage zum Traunsteiner Wochenblatt die Behauptung auf: »Die Schützengesellschaften wurden privilegiert und vom Landesherrn unterstützt, wie die Schützengesellschaft Miesenbach, deren Entstehung nach den Urkunden im Oberbayerischen Kreisarchiv bis zum Jahr 1370 zurückgeht«. Im Rahmen der Vorbereitung der 500-Jahrfeier 1911 wurden zum Nachweis des Jubiläums über das Bezirksamt Traunstein im bayerischen Königshaus Unterlagen zum Nachweis des Gründungsjahres angefordert. Diese hat dann Eisenberger gesammelt, woraufhin das Jahr 1411 als Gründungsjahr bestätigt wurde. Mehrere Mitglieder der Feuerschützengesellschaft bezeugten zudem damals, dass die ältesten Aufzeichnungen aus dem Jahr 1411 stammten. Vermutlich war dies aber keine Gründungsurkunde, sondern es waren wahrscheinlich Namenslisten oder Abrechnungen. 1424 wird erstmals »unser Taferne zu Ruppolding in dem miesenpach« erwähnt. Hier – beim heutigen Hotel zur Post – befand sich der erste Schießstand der Ruhpoldinger Schützen.

Im 30-jährigen Krieg blieb der Chiemgau und somit auch Ruhpolding vom Feind verschont. Einheimische »verwilderte und entmenschte« Soldatenhorden trieben aber die eigenen Landsleute durch schamlose Forderungen zur Verzweiflung. Kurfürst Maximilian I. wollte zwar Volk und Land vom drohenden Untergang retten, war jedoch gegenüber der Zuchtlosigkeit der eigenen Truppe machtlos. Das Volk rebellierte, als zum Ende des Jahres 1633 Kurfürstliche Söldnertruppen im Chiemgau überwintern wollten. Und so zogen die Schützen und Bauern aus den Dörfern Richtung Wasserburg, um die Soldateska über den Inn zurückzuwerfen. Am 2. oder 3. Januar sind auch die Ruhpoldinger im Bauernlager bei Wasserburg angelangt. Mit der Beteiligung der Miesenbacher am Bauernaufstand eng verbunden war auch der in Ruhpolding eingesetzte Benefiziat Marquard Pumb, der wegen Aufwiegelung zum Aufstand angeklagt wurde. Der Kurfürst forderte die Entfernung des Benefiziaten und verlangte in seiner Anklageschrift an den Fürstbischof von Salzburg unter anderem: »…vnnd wie man im völligem werkh begriffen gegen die vornembste Rädlführer vnnd aufwügler verdiente straff vnnd einsehen vorzunemen, alß mögen Wir Eur Edl. nit verhalten, dass sich in eingezogener Erfahrung vnnd fortsetzung dieses proceß befunden, was massen sich der Cooperatur zue Ruepolting Gerichts Traunstein ganz sträflicher weiß vnnd mit großer örgernuß vnnderstandten, die Pfarrer Meing daselbst am Heyl. Neujahrstag nach gehaltener Predigt auf öffentlicher Canzl durch einen lermenblasenden vorhält ebenmäßig aufzuwiglen…..«. Pumb wurde verhaftet, jedoch nach vielen Zeugenaussagen nach dreieinhalbmonatiger Haft wieder entlassen. Er und die Ruhpoldinger haben somit dazu beigetragen, dass kein Feind über den Inn kam.

Im spanischen Erbfolgekrieg erging 1702 der Befehl, an der bayerisch-österreichischen Grenze »Verhaue und Wachthäuser« aufzurichten. Nach dem Generalerlass von 1703 waren sämtliche Wehrfähigen zwischen 18 und 45 Jahren zu bewaffnen und in Bereitschaft zu halten. Von den Ruhpoldingern Schützen wurde der Pass »Ferchensee« bei Seehaus bewacht. Aus dieser Zeit stammt auch die schriftliche Aufstellung über »Die im Ambt Miesenpach churstl. Pflegegericht Traunstein vorhandtnen Feuerschützen«. Es waren 86 Feuerschützen in neun Corporalschaften. Kaum hatte sich das Land von den Folgen des spanischen Erbfolgekrieges erholt, brach 1742 der österreichische Erbfolgekrieg aus. Wie schon im spanischen Erbfolgekrieg wurde auch diesmal das Bergwerk am Rauschberg besetzt. In dieser Zeit waren bis zu 148 Schützen zur Bewachung der Pässe Förchensee und Urschlau eingesetzt, um das Eindringen der feindlichen Österreicher zu verhindern. Eine Zahlliste vom 6. August 1743, quittiert vom Schützenmeister Philipp Schwaiger gibt davon Zeugnis. Schwaiger war Erbauer und Wirt der »Tafern zu Zell in Miesenbach«, in deren Nebengebäuden sich ein Schießstand befand.

Mit Entsetzen hat man im Frühjahr 1800 im Miesenbacher Tal die Kunde vernommen, dass die französischen Truppen nach Bayern vordringen. Die napoleonischen Kriegsjahre waren im Gange. Dokumente darüber, wie die Franzosen in Miesenbach bei ihrer Einquartierung gehaust haben, sind wenig vorhanden. Einige Überlieferungen aus jener Zeit geben aber ein kleines Bild der »übermütigen Bosheit der Besatzer«. Als 1802 der Forstmeister Joseph Dillis Schützenmeister wurde, ging er sofort daran, die Miesenbacher Schützen zu aktivieren. Als es 1805 erneut zum Krieg zwischen Österreich und Frankreich kam, steht Bayern auf der Seite der Franzosen. Zum ersten Mal kommt es zu einer militärischen Organisation. Schützenmeister Joseph Dillis versuchte auf Grundlage der »Organisation eines Corps baierischer Gebirgsschützen« die Ruhpoldinger Gebirgsschützenkompanie zusammen zu stellen. Die ersten Abteilungen bezogen ihre Posten am Förchensee. Mit dem Frieden von Preßburg am 26. Dezember 1805 wurden die Corps aber schon wieder aufgelöst. 1809 wird auf Grund des erneuten Krieges zwischen Österreich und Frankreich das Gebirgsschützen-Corps wieder errichtet. Es soll wieder einmal die Grenze und Pässe nach Tirol schützen. Franz Xaver Huber, ehemaliger Schützenmeister von Ruhpolding kommandierte die erste Abteilung, die aus den Wehrpflichtigen der Landgerichte Reichenhall, Traunstein und Trostberg rekrutierte. Am 17. Oktober 1809 zog die Division von General Carl Philipp von Wrede in Ruhpolding ein und biwakierte im Ortsteil Fuchsau. Wieder war es Forstmeister Dillis, der mit einer auserlesenen Schar seiner Gebirgsschützen vorauseilte, um das Vordringen der Tiroler zu verhindern. Der Weg im Seehaus wurde durch quer liegende Bäume versperrt um ein Vordringen des Feindes zu verhindern.

Auf Anordnung von oben rief am 29. April 1814 Hauptmann Dillis die Nationalgarde ins Leben, die unter seiner engagierten Tätigkeit in Ruhpolding bald zu hoher Blüte kam. Die Blütezeit des Schützenwesens begann. Obwohl die Gebirgsschützen jetzt für die Landesverteidigung nicht mehr gebraucht wurden, kam das Übungsschießen nicht zum Erliegen. Auf den Schießständen in und um Ruhpolding herrschte reger Betrieb und viele Wettbewerbe wurden durchgeführt. Nach 1881 kam der Schießbetrieb jedoch immer mehr zum Erliegen. So wurde der Schießstand am ehemaligen herzoglichen Jagdschloss abgebrochen. Als 1895 Konrad von Kraft Schützenmeister wurde, kam es zur Wende. Mit dem Schützenwesen in Ruhpolding ging es wieder bergauf. So fand am 27. Juni 1909 die Weihe der neuen Fahne statt, die zu besonderen Anlässen auch heute noch im Einsatz ist. 1911 wurde das 500-jährige Jubiläum groß gefeiert. An das bayerische Königshaus wurde ein Gesuch um Unterstützung des geplanten Festschießens gestellt. Im »Ehrengaben-Verzeichnis« zum Jubiläumsschießen sind neben dem bayerischen Königshaus auch Spender aus Dresden, Bozen, Frankfurt, München und Augsburg vermerkt. 195 Schützen aus ganz Deutschland und dem benachbarten Österreich nahmen an dem Festschießen im Juli teil, für das über 4000 Mark an Preisgeldern ausgelobt waren, für damalige Verhältnisse eine enorme Summe. Vom damaligen Jubiläum existieren noch viele Fotos, die von einem einmaligen Fest zeugen.

Mit Ausbruch des ersten Weltkrieges kamen die damaligen Gesellschaftsschießen und die üblichen Feiern zu Ehren des Prinzregenten Luitpold zum Erliegen. Der letzte Schießwettbewerb war am 19. Juli 1914, ehe es im Mai 1919 wieder mit dem ersten Übungsschießen weiterging. Vom 28. bis 30. August 1920 waren die Ruhpoldinger Feuerschützen Ausrichter des »Chiemgau-Bundesschießen«, an dem 223 Schützen teilnahmen. Es ging wieder aufwärts mit dem Vereinsleben, 1924 wurde der Schießstand beim »Zellerwirt« neu hergerichtet und eine wertvolle Schützenkette für 250 Goldmark angeschafft. 1931 gingen der »Zellerwirt« inklusive des Jahrhunderte alten Schießstandes in den Besitz der »beiden Fräulein Resch und Walcher « über, die für die Schützen nicht viel übrig hatten. Es kam zum Bruch. Ein geeigneter Platz zur Errichtung eines neuen Schießstandes wurde in Maiergschwendt gefunden. Nach einem Aufruf an die Ruhpoldinger Bevölkerung um Spenden und um Mitarbeit zur Errichtung der neuen Schießanlage zeigte sich die beispielhafte Dorfgemeinschaft. ».. die Arbeit wurde zum Stolz der ganzen Gemeinde, den wohl noch selten wurde bei irgend einem gemeinnützigen Werk einer kleinen Gemeinde so viel Feuereifer entwickelt, als wie dies in Ruhpolding beim Bau der neuen Schießstätte der Fall war«, hieß es in einem Zeitungsartikel. Die Schießanlage wurde Mitte Juni 1938 in Betrieb genommen, während der folgenden Kriegsjahre kam aber der traditionelle Schießbetrieb immer mehr zum Erliegen. Bei Kriegsende wurden hier dann Flüchtlinge einquartiert.

Der Schießbetrieb ruhte durch das von den alliierten Siegermächten ausgesprochene Waffen- und Versammlungsverbot bis 1950. Am 28. Oktober desselben Jahres beschloss eine kleine Schar ehemaliger Ruhpoldinger Schützen den Schießbetrieb wieder aufzunehmen und dem Bayerischen Sportschützenbund beizutreten. Bei der Neugründungsversammlung am 3. März 1951 wurde zunächst der Name »Sportschützengesellschaft Ruhpolding - Zell« gewählt. Bei der Generalversammlung 1953 beschloss man, in Zukunft den alten überlieferten Namen »Königlich privilegierte Feuerschützengesellschaft Ruhpolding« zu führen. Viele große Veranstaltungen wurden in der Folgezeit ausgerichtet, so zum Beispiel das 550-jährige Jubiläumsschießen 1961, der oberbayerische Schützentag 1970 oder das 575-jährige Gründungsfest 1986. 1972 wurde Deutschlands erste Hallenschießanlage in der Ruhpoldinger Sporthalle fertig gestellt, die 1982 durch Brand zerstört und durch ernorme Eigenleistung und mit Unterstützung der Bevölkerung wieder aufgebaut wurde. 1999 wurde die Halle verlängert und 2010 durch eine moderne, computergesteuerte Zielanlage ergänzt. Der Bau der Schießanlage bedeutete für die Feuerschützengesellschaft einen enormen Aufschwung. Sie bietet auch heute noch optimale Trainings- und Wettkampfbedingungen.

Lang ist die Liste der sportlichen Erfolge der Ruhpoldinger. Kaum eine andere Schützengesellschaft kann so viele Meistertitel und ausgezeichnete Platzierungen bei oberbayerischen, bayerischen, deutschen und internationalen Meisterschaften aufweisen. Ganz gleich, ob bei den Nachwuchsklassen, den Damen oder in der Schützenklasse bis hin zu den erfolgreichen Altschützen. Besonderer Wert wurde immer auf den Schützennachwuchs gelegt und somit blieb der Erfolg auch nicht aus.

»Seit nunmehr 600 Jahren fühlen sich die Ruhpoldinger Schützen der Heimat und ihrer Überlieferungen verpflichtet. Die Verteidigung der Bewohner, der Schutz von Hab und Gut ist der Bewahrung der Tradition und der religiösen Bindung gewichen«, so der erste Schützenmeister Helmut Müller und Festleiter Anderl Hofmann in ihrem gemeinsamen Grußwort zum Jubiläum, das an diesem Wochenende gefeiert wird.

Hannes Burghartswieser


Quellennachweis:
»600 Jahre Ruhpoldinger Schützen«. Ausgabe 2011, Verfasser Helmut Müller und Josef Reiter. Ruhpoldinger Heimatbuch, 3. Auflage 1998.


32/2011