Der »Schwarze Palmsonntag« des Jahres 1705
Kaiserliche Rekrutenwerbung führte zum Traunsteiner Salzarbeiteraufstand

Satirische Flugschrift auf die Niederlage und Besetzung Bayerns 1704: »Offentliche Bayerische Beicht-Bekanntnus vor den Füssen der Kayserlichen Soldateska«

Administrator Graf Löwenstein

Offizielles Amtssiegel »Sr. röm. kaysl. Mayestät in Bayern« auf Traunsteiner Schriftstücken der Jahre 1705-1714.
Am 13. August 1704 marschierten bei Höchstädt und Blindheim an der Donau etwa 108 000 Mann zur entscheidenden Schlacht auf. Frankreich und das mit ihm verbündete Bayern mussten eine schwere Niederlage hinnehmen. Max Emanuel zog sich in das Exil nach Brüssel zurück. Nur die Kurfürstin Therese Kunigunde blieb mit den kurfürstlichen Prinzen in München. Bayern war nach der »vollkommenen Victori« den Siegern preisgegeben. Die kaiserliche Administration in Bayern unter Graf von Löwenstein hatte von Wien Instruktion, neben der »gerechten« Zumessung von Steuern und Kontributionen, dem Land vordringlich junge Burschen für den Kriegsdienst in der kaiserlichen Armee zu entziehen. Im Bewusstsein, dass man dabei den Nerv des Volkes treffen würde, wollte man mit einem »wilden Werben« sogenannter Werbekommandos noch abwarten und auf das bislang gepflogene Auswahlverfahren der kurbayerischen Landaufgebote zurückgreifen. Damit hatte man die unpopulärste aller Zwangsmaßnahmen den Pflegegerichten und Hofmarken zugeschoben. Dieser – scheinbar taktisch geschickte – Schachzug erwies sich aber bald als Fehlentscheidung, denn durch das allzu lasche Vorgehen der Beamten konnte zunächst nur ein lächerliches Häuflein für den missliebigen Militärdienst gemustert werden. Diesem vorsichtigen Taktieren der Administrationsbeamten stand allerdings die vehemente Forderung des Prinzen Eugen nach 4000, wenigstens 3000 bayerischen Rekruten entgegen, welche der Generalissimus für seine ausgedünnten Truppen in Italien dringend benötigte. Dabei sollte man in Bayern nicht glimpflicher verfahren als in den Erblanden – das hieß im Klartext: Zwangsrekrutierungen mit scharfer militärischer Exekution.
In den Rentämtern Burghausen, Landshut und Straubing schalteten die Werbekommandos nach Belieben. Sie holten junge Burschen von der Feldarbeit, aus Wirtsstuben und Kirchen, ja sogar nächtlicherweise aus den Betten, schlugen sie in Eisen und verschleppten sie an die Musterungsplätze. Eine politische Sonderstellung genoss vorübergehend das Rentamt München. Es blieb nach der verlorenen Schlacht von Höchstädt noch kurbayerisches Territorium und wurde im Vertrag von Ilbesheim am 7. November 1704 der Kurfürstin Therese Kunigunde zugesprochen. Dies geht auch aus einem Schreiben der kurfürstlichen Kommission an die Stadt Traunstein vom Januar 1705 hervor, in dem es heißt, dass » wür aber in unserm reservierten Landtgezürckh einige dergleichen Werbungen und Einquartierungen nit zu gestatten gedenkhen, vermig auch ein solches, vermöge ihrer Traktaten und darüber geschehenen Declaration, keinesweegs zuegemuttet werden khann ...«. Nicht lange jedoch blieb das Gebiet des Rentamtes München (zu dem bis 1779 auch Traunstein gehörte), ein schützendes Reservat gegen österreichische Übergriffe. Unter dem Druck des Militärs hatte die Kurfürstin alsbald kaiserliches Werben zu gestatten, allerdings unter der Auflage, dass jenes die anfallenden Kosten selbst tragen und in seinem Verhalten nicht zu Beschwerden Anlass geben sollte. Die Amtshoheit der Stadt hatte darauf zu achten, dass man bei solcher Gelegenheit Streuner und Müßiggänger von der Straße entfernen sollte, »keinesweegs (aber) die in unseren Kriegsdiensten geweste und abgedankhte Mannschaft verstanden haben wolle ...«. Diese sollten »vermög der Traktaten in allweeg die Freiheit haben, Dienst zu nehmen, in dem Landt zu bleiben, oder weiters zu gehen«. Gerade auf diesen letzten Passus sollte man sich in Traunstein später noch berufen, wenngleich er durch die politischen Veränderungen nur noch bedingt wirksam war. Nicht einmal ein Vierteljahr war die Kurfürstin der Regentschaft gewachsen, dann verließ sie die Landeshauptstadt und reiste nach Venedig. Bereits im April wurde das Rentamt München von kaiserlichen Truppen besetzt, der Kurfürstin die Einreise verweigert und mit der zwangsweisen Rekrutenaushebung dergestalt verfahren, dass auf Bayern »keine andere Reflexion zu machen (sei), als selbiges in so weit genießen zu können, dass es dem Kurfürsten unnutz sein solle«.
Ungerechtfertigte Rekrutenwerbung führt zum Aufstand der Salzarbeiter
Unter einer solchen Maßgabe traf nun am 4. April 1705 gegen fünf Uhr abends ein 15 Mann starkes kaiserliches Werbekommando unter Führung von Leutnant Clemens Kassalli in Traunstein ein. Die Werber passierten ohne Mühe die seit dem Brand noch immer unbefestigte Stadt und begehrten vor dem Haus des Weinwirts und Bürgermeisters Oswald Gruber »wegen ihres weiten Allheromarsch« Nachtquartier für einen Rasttag. Sie forderten sogleich eine Vorspann von vier Pferden für einen geführten Ritt nach Trostberg, »welch alles, diesen Leuthen die eisserste Guettwilligkeit zuerzaigen undt Sie mit bester Beschaidenhait solchergestalten wider vom Hals zu bringen«, sogleich geleistet wurde.
Die noch in Traunstein verbliebenen 12 Mann des Werbekommandos wurden vom Bürgermeister beim Gastwirt und Bierbrauer Franz Langegger einquartiert. Am anderen Tag, jenem folgenschweren Palmsonntag des Jahres 1705, schickten sich die einquartierten Soldaten an, in der Stadt auf Rekrutenfang zu gehen. Dabei suchten sie bevorzugt nach jungen Burschen mit militärischer Erfahrung. Der erste, der ihnen in die Arme lief, war der ledige Salzarbeiterssohn Kaspar Hemberger. Dieser stand schon am frühen Morgen am Stadtplatz. Hemberger trug als ehemaliger Musketier im kur-bayerisch-lützelburgischen Regiment den blauen Soldatenrock und stach deshalb den Werbern besonders ins Auge. Der beim Langeggerbräu einquartierte Leutnant ging auf den jungen Burschen mit der Frage zu, ob er für einen Soldaten zu halten wäre. Hemberger verneinte dies. Der Leutnant aber machte ihm deutlich, dass er das Handgeld freiwillig nehmen sollte, ansonsten würde ihm Zwang angetan. Der abgedankte kurbayerische Soldat gab couragiert zur Antwort, dass er keine Lust verspüre, in kaiserlichen Dienst zu treten. Daraufhin ging der Leutnant weg, schickte ihm aber sogleich zwei Korporäle nach, die ihn festnehmen sollten. Der Verfolgte konnte den kleinen Vorsprung nutzen, um in ein Bäckerhaus zu flüchten. Das Haus wurde durchsucht, Hemberger aber gelang es, unerkannt sein Elternhaus in der Au zu erreichen, wo er sogleich seinen Soldatenrock auszog und in die Kleider seines Bruders schlüpfte, in denen man ihn fortan nicht mehr erkennen sollte. Der gewaltsame Versuch, den Hemberger in kaiserliche Soldatenkleider zu stecken, hätte kaum Aufsehen erregt, hätten nicht die Werber erneut nach einem Opfer Ausschau gehalten. Wie aus den detaillierten Aufzeichnungen des Pflegsverwalters Iganz Loichinger hervorgeht, befand sich am Vormittag desselben Sonntages der ebenfalls ledige Salzarbeiterssohn Johann Hopf auf dem Heimweg vom 40stündigen Gebet in der Klosterkirche, als er auf dem freien Platz vor dem oberem Tor von Kassalli und drei seiner Unteroffiziere »gewaltettig aufgefangen und ungeacht seiner villfeltig repetierten Entschuldigungen, daß er kaiserlichen Kriegsdienst anzunemmen kheineswegs gedacht, sondern lieber seiner Handtarbeit vorstehen und sich ehrlich ernähren wolle, ... gewaltettig in sein Quartier zu Franzen Langegger Pierprauer, beym Haar hindt ergriffenen Claidern, heimfiehren und darselbst verwahrlich enthalten lassen ...«. Auf dem Weg zum Kommandoquartier wurde der Gerichtsschreiber Balthasar Wischl-burger auf den Vorgang aufmerksam und protestierte sofort bei Kassalli und seiner Mannschaft mit dem Hinweis auf den kurfürstlichen Befehl vom 7. Januar des Jahres, der ausdrücklich Rekruteneinziehungen im Rentamt München untersagte. Der kaiserliche Leutnant hingegen berief sich auf ein Vollmachtspatent, das ihn dazu legitimieren sollte, auch Soldaten der abgedankten kurfürstlichen Armee für das kaiserliche Heer einzuziehen. Vorweisen konnte er ein solches Papier allerdings nicht.
So lief um die Mittagszeit eine tosende Menge von ledigen Salinenarbeitern und Handwerkern, die an den durch den Brand erforderlichen Baustellen in der Stadt tätig waren, mit »Knittl- und Scheitlsteckhen« vor dem Langeggerbräu zusammen, um die Freilassung ihres gewaltsam entführten Kameraden zu fordern. Wegen der unnachgiebigen Haltung Kassallis steigerte sich die Wut des »zusammengeloffenen Pöffels zur högsten Furi und Unsinnigkeit«. Trotz ihrer Bewaffnung – sie verfügten immerhin über Gewehre mit aufgesteckten Bajonetten – konnten die Soldaten nicht viel ausrichten. Sie wurden »ganz rabiatisch und von der grossen Menge, seithemallen in diesem ganz unverhofften und vielfeltigen Auflauff woll mehr als 200 Mann die högstschädliche Gegenwehr ergriffen, dergestalten hizig angefallen und mit Knittlstraichen solchgestalten übl traktiert und geschlagen, bis sie dem gewaltettig hinweckhgenommenen Hansen Hopfen und noch einen andern solchen seinen Cameraden zu der Entfliehung Lufft gemacht und hirunter nit allain er Leutenant, sondern auch noch 8 bis 10 seiner bey sich gehabten Undteroffiziere und gemainen Soldaten auf das Leben iämmerlich tractiert und geschlagen, allermassen vorgestert auf die Nacht ungefehr 6. Stundt nach solicher Attaque 2 daraus würckhlich mit Todt abgangen, und anheunt zur Erdten bestattet worden ...«. Bei den Toten handelte es sich um den aus Polen stammenden Korporal Jacob Buka und den Lüneburger Mathias Beck gleichen Dienstgrades.
Als sich die Gemüter einigermaßen beruhigt hatten, musste jeder halbwegs Besonnene auf die Walstatt beim Langeggerbräu blicken und feststellen, dass man einen Schaden mit unabsehbaren Folgen angerichtet hatte. Bereits am nächsten Tag erfolgte die eidesstattliche Vernehmung der Bräuleute, ihres Gesindes, der anwesenden Hausgäste, des Hemberger und Hopf sowie der beiden Bader der Stadt – letztere deshalb, weil sie am besten Art und Ursachen der Verletzungen schildern konnten, welche die Kaiserlichen bei der Auseinandersetzung davongetragen hatten. Martin Eichler, oberer Bader und Wundarzt, gab an, dass man ihm nach Beendigung des Tumultes zehn der jämmerlich Zerschlagenen und tödlich Verwundeten ins Haus gebracht hatte, so er an Iren empfangenen Wunden haillen, verpinden und curiern solle«. Da er nicht alle aufnehmen konnte, ließ er sieben davon seinem Kollegen, dem Unterbader, zukommen, von welchen einer über Nacht verstarb. Der andere Tote aber war in seinem Hause zu beklagen. Von den übrigen acht grausam malträtierten Soldaten habe der Leutnant »5 Wunden am Kopf empfangen« sowie erhebliche Blessuren an beiden Armen, Füßen und an anderen Leibsteilen, welche alle von den Scheitern, Knitteln und Tischfüßen der Täter herrührten, davongetragen. Falls sich kein Wundfieber einstellen würde, so zeigte sich der Oberbader optimistisch, würde er seine Patienten wohl durchbringen.
Bei der Vernehmung der Zeugen kamen manche Einzelheiten der »Schlacht« ans Tageslicht, wenngleich niemand gesehen haben wollte, wer die Schlägerei angefangen hatte. Am wenigsten konnte der Langegger selbst zur Aufklärung der Vorgänge in seinem Haus beitragen. Er verweilte um die Mittagsstunde bei den Herren Kapuzinern und kam erst zurück, als der Rumor schon sein Ende fand. Das besondere Interesse musste also der Aussage der Langeggerin gelten. Ihrer Ansicht nach hatte das provozierende Verhalten Kassallis die Eskalation hervorgerufen. So wies dieser den zufällig vor Ort erschienenen Husarenleutnant Seidl, der zur Entspannung der Lage eine Herausgabe des Hopf vorschlug, mit der trotzigen Bemerkung ab, er werde noch weitere ehemalige Soldaten aus der Stadt einfangen. Dass aber gerade sie, die Langeggerin, ein gerütteltes Maß Schuld an den Folgen der Massenkeilerei mittrug, sollte sich erst später herausstellen. Denn nicht alle Mitglieder des Werbekommandos waren mit der Gegenwehr so beschäftigt gewesen, dass sie nicht hätten sehen können, wie die Hauswirtin den Eindringlingen die hintere Tür geöffnet und so den Tumult erst richtig ausgelöst hatte! Bemerkenswerterweise aber schonte die Wirtin die Auer Salzleute nicht, als es darum ging, Plünderungen aufzudecken: »Sie haben Ime Leutenant all sein Sach hinweckh genommen, ja sogar die Schuch von denen Fiessen herunder gerissen, seine 2 guldnen Ring von denen Fingern, Ime all sein gelt aus denen Säckhen und die Parucken umb den Kopf hinweckh genommen«.
Im Großen und Ganzen deckten sich die Aussagen des Hausgesindes mit jener der Wirtin. Die Viehmagd konnte sich sogar an die Anfänge der Ausschreitungen erinnern, bei denen sich der Wirtssohn von der Au namens »Christ« hervorgetan hatte. Wer aber »die jämmerliche Schlögerey volbracht und veribt«, das wusste sie nicht, denn sie hatte sich im Verlauf der Auseinandersetzungen schützend vor Küche und Speisekammer gestellt, »damit inen nit gleichwoll alles Geschirr zerstossen, zerschlagen und zerbrochen worden, seithemallen die rasenden Auleith und Salzarbeiter alle Tisch, Bänk und Stuhlfiessen ab, auch umb ihrer gehabten Scheidtlen damit zuegeschlagen«. Sie und die Kellerdirn des Langegger konnten darüberhinaus bezeugen, dass neben dem Hopf noch ein aus dem Salzburgischen stammender Bauernsohn von den Werbern bewacht wurde. Als weitere Zeugen wurden drei Vachendorfer Burschen vernommen, die sich über Mittag zufällig in der Wirtsstube aufgehalten hatten. Sie gaben unter anderem zu Protokoll, dass etwa nach 12 Uhr »zwey Tisch voll ledige Salzarbeiter von der Au in die Stuben hinein khommen«, welche vorerst mit guten Worten ihren Kameraden Hopf herausbekommen wollten. Da aber der Leutnant seine Soldaten an die Gewehre rief, wären sie weggelaufen, jedoch bald in größerer Anzahl mit Knitteln und abgebrochenen Bankfüßen wiedergekommen. Wer allerdings die Schlacht eröffnet hätte, diese entscheidende Frage wussten auch sie nicht zu beantworten, denn sie wären »an Ihren Zöchtisch sizend geblieben und (haben) sich die Händl weither nichts angehen lassen«.
Der Kronzeuge, der 22-jährige Hans Hopf, schilderte dem Pflegsverwalter die Vorkommnisse äußerst sachlich und glaubwürdig. Zu seiner Person gab er an, dass er sich 1703 beim hiesigen Kastenamt als kurfürstlicher Soldat hatte anmustern lassen. Er sei dann zum Obrist Pettendorffischen Landausschussregiment gestoßen, welches Ende März 1705 zu Wasserburg abdankte, was er schriftlich belegen konnte. Über seine Ergreifung und Gefangennahme im Langeggerhaus konnte er hieb- und stichfeste Erläuterungen liefern. Von der um seine Person entstandenen Schlägerei im Wirtshaus hatte er wenig mitbekommen, da er die Wachstube nicht verlassen konnte. Im weiteren Verlauf der Ausschreitungen hatte er jedoch seine Chance zur Flucht gesehen und diese in einem günstigen Moment auch genutzt. Schließlich fand er gar noch ein verzeihendes Wort für seine Häscher: »Daß man sye kaiserlichen solchergestalten wegen seiner so ybl zerschlagen und zuegerichtet (habe), seye ime sehr laid«. Als weiterer Zeuge schilderte der Vater des Hopf seine Bemühungen beim Gerichtsschreiber und danach beim Salzmaier von Metzger, die unrechtmäßige Sache um seinen Sohn anzuzeigen, »dessen aber allen ungeachtet nichts ausrichten khinden«.
Der dramatische Vorfall in Traunstein wurde durch eine Paralelle in der Nachbarstadt Reichenhall unterstrichen. Sie passte so haargenau in das Bild, dass der Pflegsverwalter es für zweckdienlich hielt, in seinem Schreiben an die Kommission ausführlich darauf einzugehen. Beteiligt waren zwei ledige Bauernburschen aus dem Gericht Traunstein. Der 21-jährige Sebastian Unkhner von Wörglham und der 23-jährige Georg Aicher vom Bischofengut zu Hörgering hatten Vorspann für den Durchzug des Graf Sinzendorffischen Dragonerregiments nach Reichenhall zu leisten. Auf dem Rückweg begegneten ihnen auf dem sogenannten »Neuen Weg« in der Gegend des Mauthäusls kaiserliche Werber. Beide wurden sogleich vom Pferd und Wagen heruntergerissen mit der Begründung, »weillen (sie) dem Churfürsten aus Bayern under den Landtfahnen gedinnet, missen (sie) auch deme Kaiser auf soliche Weis einen Soldaten abgeben«. Gewaltsam führte man die beiden nach Reichenhall zurück, wo sie drei Tage im Bräuhaus festgehalten wurden. Doch auch in der Salzstadt kochte die Volksseele, nachdem man dort einen ortsansässigen Bauern in kaiserliche Dienste gezwungen hatte und zu den beiden Traunsteiner Gerichtsuntertanen sperrte. Es entwickelte sich ein Aufruhr, in dessen Verlauf die Gefangenen die Flucht ergreifen konnten. Ihr abenteuerlicher Ausbruch führte über ein Sailerhaus zur Stadt hinaus, von wo sie erst am Vortag der Vernehmung zu Hause ankamen. Allerdings ging es in Reichenall ohne Blutvergießen ab.
Für Traunstein aber musste mit dem Schlimmsten gerechnet werden. Die Befürchtung, dass sich die durch Feuersbrunst ohnehin schon schwer geschädigte Bürgerschaft »abermaßen nichts anders, als einen neuen Prandt, verderblichen Plinderung oder andern erschröcklichen Gewaltthaten zu besorgen haben«, sollte sich bald bestätigen. Die Verantwortlichen mussten in der Folgezeit größte Anstrengungen unternehmen, um die Stadt vor Konsequenzen zu bewahren.
Die Bedrohung der Stadt als Folge des Aufstandes
Schon am Tag nach der »Schlacht« reisten der Pfarrer Johann Balthasar Andensteiner, der Salinenwaldmeister Johann Pezzoli und zwei Bürger des inneren Rates, der Bierbrauer Andreas Kränich und der Lederermeister Johann Lechner, zum kaiserlichen Hauptmann Ferdinand von Kellern nach Trostberg, um sich für das leidige Ereignis zu entschuldigen. Darüberhinaus sandten sie einen Bericht an den kaiserlichen Generalfeldmarschall Graf Franz von Cronsfeld in dessen Landshuter Hauptquartier. Umgehend mussten alle den kaiserlichen Soldaten abgenommenen Gegenstände zurückgegeben werden. So konnte Kassalli eine Woche später eine bedeutende Plünderungsmasse in Empfang nehmen: Neben zwei Flinten, einer Patronentasche, drei Stoßdegen und einem Bajonett auch seinen roten Soldatenrock mit gleichfarbenen Knöpfen sowie sein leinenes Soldatenhemd. Ferner gaben die Auer Burschen eher unbedeutendes Beutegut wie etwa eine Schuhbürste und einen in Papier gewickelten Schnupftabak zurück, »welch alles dergestallt ruiniert, das selbiges künftig nit mehr zu gebrauchen«.
Die Dramatik der folgenden Tage und Wochen weiß uns am besten der Gerichtsverwalter Ignaz Loichinger zu schildern. Am Dienstag, den 30. April 1705, etwa um 16 Uhr nachmittags, trafen der kaiserliche Obristwachtmeister Geroldin von dem in Italien stehenden Obrist zum Jungischen Regiment, Hauptmann von Kellern und Leutnant Kassalli mit etwa 40 Rekruten aus Trostberg kommend in Traunstein ein und begehrten Quartier. Der Obristwachtmeister gab bald zu erkennen, warum man gerade hier Quartier bezog. Er zitierte den Salzmaier von Metzger und, in Vertretung des abwesenden Gerichtsverwalters, den Gerichtsschreiber Wischlburger in sein Quartier bei dem Bierbrauer Johann Jähner und begegnete den anwesenden Amtspersonen mit den »allerhizigsten und beschwerlichen Worten«. Er sei von dem kaiserlichen Generalissmus Prinz Eugen von Savoyen befehligt, Wiedergutmachung für die Exzesse um seinen Leutnant an der hiesigen Stadt zu verüben. Er fordert »Blueth für Blueth – oder Abstattung einer erkleckhlichen Summa Gelts von 14000 fl«. Da 14000 Gulden unmöglich von der ruinierten Stadt aufzubringen waren, erbat sich die anwesende Delegation, die kaiserliche Administration in die Sache einbinden zu können. Dies war aber anscheinend nicht nach dem Geschmack des kaiserlichen Militärkommandos. Gegen 19 Uhr ritt der Obristwachtmeister schließlich verärgert zur Stadt hinaus, um sich im Haslacher Pfarrhof mit seinem Hauptmann und Leutnant Kassalli zu treffen.
Zu Mittag des nächsten Tages, es war der 1. Mai 1705, wurden alle drei Parteien in den Pfarrhof geholt. Geroldin wiederholte seine Forderung vom Vortag und drohte, »wenn er solches von uns in Gitte nit yberkhommen und habhafft werden solle, daß er dies alles durch eine ime angeschaffte, uns sehr schmerzlich fallende militärische Exeuction zubehaubten bevelcht und intentioniert wehre«. Die Anwesenden verwiesen abermals auf ihre Zahlungsunfähigkeit. Auch ein geringerer Betrag wäre nach ihrem Dafürhalten nicht möglich, »seitemallen ... das Städtl von den stetig erlittenen, doppelt feindtlichen Einfall (und) durch die erpressten unerschwingliche Brandtschatzungen genzlich erschöpft und hiryber einen als andern Weeg noch genzlich verprenten Orth aufzubringen (ein) unmögliches Begehren (sei)«. Sie verwiesen auch auf die nicht geringe Teilschuld Kassallis, dessen Verhalten den Aufstand erst richtig entfacht hatte. Schließlich wurden auch die Vertreter der Stadt, Amtsbürgermeister Gruber und der Ratsherr und Lebzelter Adam Hörbeckh, zusammen mit dem Stadtschreiber hinzugezogen. Auch sie konnten nur beteuern, dass sie sich »bey denen genzlich erschöpften und abgengigen Geltmitln zu vill oder wenig nit einlassen khinden und baten erneut, die kaiserliche Generalität in dieser Sache befinden zu lassen ...«.
»Hirauf ist der Obrist-Wachtmeister Scherolding endtlich voller Zorn und Unwillen auf das Pferdt gesessen mit einsonder villmahl wiederholter Betrohung, das er bey diesem Städtl Traunstain, der hirin verhandenen Bürger und in dem Gericht ansässigen Paurschafft, auch dennen aus dem Salzmairamts Au befindtlichen Salzärztleithen als Urheber des monierten Tumults, durch ein gewiss noch zuruckh stehend, zu seinem Regiment gehörige Soldatesca, durch die zu erwarten habende militärische Exekution ime selber aine solche Satisfaction verschaffen und (er) uns dergestallt tractiern lassen wolle, daß wür gewiss winschen sollen und werden, sein uns angebottene Gitte und Willferigkheit amplecitiert und ime die begehrte Summa gegeben zu haben«.
Der Gerichtsschreiber Wischlburger brachte es auf den Punkt, wenn er davon sprach, dass faktisch alle für »vogelfrey« erklärt wurden. Kassallis Zornausbrüche äußerten sich endlich in dem hässlichen Beisatz, »sein Kopf (werde) solang nit ruhig seyn, bis er seine Händt in unserem Blueth gewaschen haben werde«. Nach einem ausführlichen Bericht an die Hofkammer verließen Loichinger und Wischlburger Traunstein und flüchteten heimlich nach München. Aus ihrem Exil schoben beide noch einmal detaillierte Erläuterungen zu den Traunsteiner Vorfällen nach, die »per Staffetta« nach Landshut gingen. Wischlburger sah sich als erklärter Erzfeind des kaiserlichen Leutnants Kassalli, nachdem dieser geäußert hatte, »es misse ihme nichts mehrers reuen, als daß er mir, Gerichtsscheiber, an deme entwichenen Freitag, den 1. Mai, nit mit seinem Pajonet bey Herrn Pfarrer zu Haslach in der Stuben durch den Leib gestossen habe«. Beide Gerichtsbeamte setzten sich nachhaltig für eine Abberufung des rachsüchtigen Leutnants ein, »daß dieser der Orthen hinweckh und andershin commandiert werden mechte«.
Der kurfürstliche Hofkammerrat Franz Joseph von Unertl verwendete sich bei der Administration in Lands-hut zugunsten der Traunsteiner für eine deutliche Abschwächung der überhöhten Entschädigungsgelder. Am 20. August 1705 traf beim hiesigen Pfleggericht die von der »Commissione Administrationis Cäsariae« festgelegte tatsächliche Strafzumessung ein. Dieses Papier mag in Traunstein allenthalben Aufatmen ausgelöst haben, denn es forderte nur zehn Prozent der ursprünglichen Reparationen. Davon hatte, bei Androhung militärischer Exekution, innerhalb von vier Tagen das Salzmaieramt als Urheber des Aufstandes 600 Gulden zu zahlen. 400 Gulden trafen den Stadtmagistrat, da man nachweisen konnte, dass ein Bürger der Stadt die Salzleute zum Aufruhr angestachelt und sogar die Bürgermeistersöhne Hand angelegt hatten. Außerdem hatten die übrigen Bürger, »nit allein, wie sich gebührt hette, dem Handl nit abgeholffen, sondern auch mit- und beygangen und gern gesehen, was vorbeygangen«. Der Gerichtsschreiber Balthasar Wischl-burger sollte mit einem Strafgeld in Höhe von 200 Gulden belegt werden. Es wurde ihm angelastet, er hätte als »kaiserlicher Beamter« seiner Pflicht nicht Genüge geleistet, beziehungsweise »durch Gerichtsmittl die Gewald nit abgewendet«. Und schließlich sollte der Langeggerbräu für das Vergehen seiner Gattin, »weilen Sie allerdings an dennen vorgangenen Mortthatten durch Eröffnung der hinder Thür kheine khleine Ursach«, ebenfalls mit 200 Gulden bestraft werden. Das musste dem wackeren Bierbrauer und Gastwirt umso schmerzlicher erscheinen, als er ohnehin durch den Rumor beinahe sein gesamtes Inventar verloren hatte. Trotz mehrfacher Unschuldsbeteuerungen erkannte man die Aussage seiner Hauswirtin, die Auburschen selbst hätten die ominöse Hintertür aufgebrochen, als »von einem nichtigen Halt« an. Da nützte es auch nichts, dass sie angab, es wäre ihr auch noch ein Faß Branntwein im Wert von 100 Gulden zerschlagen worden, weshalb »sey sich zu ainigem Beytrag nit bequemben oder einstehen will«.
Doch damit war nur ein Teil der Rechnungen beglichen. Auch Kassalli erhob separate Forderungen in Höhe von 4391 Gulden. Er veranschlagte »vor saine Schmerzen« 1000, »vor denen acht Blessierten ihre Schmerzen« 500 Gulden. Für seine während der Schlägerei verlorengegangenen Papiere setzte er 1000 Gulden an, die zwei ihren Verletzungen erlegenen Korporäle waren ihm 900 Gulden für die Regimentskasse wert. Auch in diesem Fall bewies die sonst oft gescholtene Administrationskommission Fingerspitzengefühl und reduzierte den überzogenen Antrag auf 1421 Gulden. Um die Aufteilung dieser neuerlichen Reparationsgelder gerecht vornehmen zu können, wurde für den 14. August frühmorgens um 8 Uhr eine Konferenz einberufen, deren Ausgang allerdings unbekannt ist. Die Salzarbeiter, die nach der Schlägerei zum Teil namentlich erfasst worden waren, sollten zwar zur Rechenschaft gezogen werden, doch sie galten als flüchtig. Außerdem war man sich amtlicherseits nicht darüber im Klaren, »wie man ungeacht ihrer menniglich bekannten Unvermögenheit ain ergibiges Quantum zusammenbringen und erlegen möchte«. Ein Prozess gegen die »Urheber des schweren Traktaments« ist ebenso wenig bekannt wie eine im Namen Kaiser Josephs I. geforderte Wiederergreifung der entflohenen Rekruten Hemberger und Hopf.
So kann folgendes Fazit der Vorfälle an jenem 5. April des Jahres 1705 gezogen werden: Die drohende Gefahr eines gänzlichen Untergangs der Stadt Traunstein konnte durch die gleichermaßen unerschrockene wie besonnene Verhandlungstaktik der verantwortlichen Beamten abgewendet werden.
AR
11/2005
In den Rentämtern Burghausen, Landshut und Straubing schalteten die Werbekommandos nach Belieben. Sie holten junge Burschen von der Feldarbeit, aus Wirtsstuben und Kirchen, ja sogar nächtlicherweise aus den Betten, schlugen sie in Eisen und verschleppten sie an die Musterungsplätze. Eine politische Sonderstellung genoss vorübergehend das Rentamt München. Es blieb nach der verlorenen Schlacht von Höchstädt noch kurbayerisches Territorium und wurde im Vertrag von Ilbesheim am 7. November 1704 der Kurfürstin Therese Kunigunde zugesprochen. Dies geht auch aus einem Schreiben der kurfürstlichen Kommission an die Stadt Traunstein vom Januar 1705 hervor, in dem es heißt, dass » wür aber in unserm reservierten Landtgezürckh einige dergleichen Werbungen und Einquartierungen nit zu gestatten gedenkhen, vermig auch ein solches, vermöge ihrer Traktaten und darüber geschehenen Declaration, keinesweegs zuegemuttet werden khann ...«. Nicht lange jedoch blieb das Gebiet des Rentamtes München (zu dem bis 1779 auch Traunstein gehörte), ein schützendes Reservat gegen österreichische Übergriffe. Unter dem Druck des Militärs hatte die Kurfürstin alsbald kaiserliches Werben zu gestatten, allerdings unter der Auflage, dass jenes die anfallenden Kosten selbst tragen und in seinem Verhalten nicht zu Beschwerden Anlass geben sollte. Die Amtshoheit der Stadt hatte darauf zu achten, dass man bei solcher Gelegenheit Streuner und Müßiggänger von der Straße entfernen sollte, »keinesweegs (aber) die in unseren Kriegsdiensten geweste und abgedankhte Mannschaft verstanden haben wolle ...«. Diese sollten »vermög der Traktaten in allweeg die Freiheit haben, Dienst zu nehmen, in dem Landt zu bleiben, oder weiters zu gehen«. Gerade auf diesen letzten Passus sollte man sich in Traunstein später noch berufen, wenngleich er durch die politischen Veränderungen nur noch bedingt wirksam war. Nicht einmal ein Vierteljahr war die Kurfürstin der Regentschaft gewachsen, dann verließ sie die Landeshauptstadt und reiste nach Venedig. Bereits im April wurde das Rentamt München von kaiserlichen Truppen besetzt, der Kurfürstin die Einreise verweigert und mit der zwangsweisen Rekrutenaushebung dergestalt verfahren, dass auf Bayern »keine andere Reflexion zu machen (sei), als selbiges in so weit genießen zu können, dass es dem Kurfürsten unnutz sein solle«.
Ungerechtfertigte Rekrutenwerbung führt zum Aufstand der Salzarbeiter
Unter einer solchen Maßgabe traf nun am 4. April 1705 gegen fünf Uhr abends ein 15 Mann starkes kaiserliches Werbekommando unter Führung von Leutnant Clemens Kassalli in Traunstein ein. Die Werber passierten ohne Mühe die seit dem Brand noch immer unbefestigte Stadt und begehrten vor dem Haus des Weinwirts und Bürgermeisters Oswald Gruber »wegen ihres weiten Allheromarsch« Nachtquartier für einen Rasttag. Sie forderten sogleich eine Vorspann von vier Pferden für einen geführten Ritt nach Trostberg, »welch alles, diesen Leuthen die eisserste Guettwilligkeit zuerzaigen undt Sie mit bester Beschaidenhait solchergestalten wider vom Hals zu bringen«, sogleich geleistet wurde.
Die noch in Traunstein verbliebenen 12 Mann des Werbekommandos wurden vom Bürgermeister beim Gastwirt und Bierbrauer Franz Langegger einquartiert. Am anderen Tag, jenem folgenschweren Palmsonntag des Jahres 1705, schickten sich die einquartierten Soldaten an, in der Stadt auf Rekrutenfang zu gehen. Dabei suchten sie bevorzugt nach jungen Burschen mit militärischer Erfahrung. Der erste, der ihnen in die Arme lief, war der ledige Salzarbeiterssohn Kaspar Hemberger. Dieser stand schon am frühen Morgen am Stadtplatz. Hemberger trug als ehemaliger Musketier im kur-bayerisch-lützelburgischen Regiment den blauen Soldatenrock und stach deshalb den Werbern besonders ins Auge. Der beim Langeggerbräu einquartierte Leutnant ging auf den jungen Burschen mit der Frage zu, ob er für einen Soldaten zu halten wäre. Hemberger verneinte dies. Der Leutnant aber machte ihm deutlich, dass er das Handgeld freiwillig nehmen sollte, ansonsten würde ihm Zwang angetan. Der abgedankte kurbayerische Soldat gab couragiert zur Antwort, dass er keine Lust verspüre, in kaiserlichen Dienst zu treten. Daraufhin ging der Leutnant weg, schickte ihm aber sogleich zwei Korporäle nach, die ihn festnehmen sollten. Der Verfolgte konnte den kleinen Vorsprung nutzen, um in ein Bäckerhaus zu flüchten. Das Haus wurde durchsucht, Hemberger aber gelang es, unerkannt sein Elternhaus in der Au zu erreichen, wo er sogleich seinen Soldatenrock auszog und in die Kleider seines Bruders schlüpfte, in denen man ihn fortan nicht mehr erkennen sollte. Der gewaltsame Versuch, den Hemberger in kaiserliche Soldatenkleider zu stecken, hätte kaum Aufsehen erregt, hätten nicht die Werber erneut nach einem Opfer Ausschau gehalten. Wie aus den detaillierten Aufzeichnungen des Pflegsverwalters Iganz Loichinger hervorgeht, befand sich am Vormittag desselben Sonntages der ebenfalls ledige Salzarbeiterssohn Johann Hopf auf dem Heimweg vom 40stündigen Gebet in der Klosterkirche, als er auf dem freien Platz vor dem oberem Tor von Kassalli und drei seiner Unteroffiziere »gewaltettig aufgefangen und ungeacht seiner villfeltig repetierten Entschuldigungen, daß er kaiserlichen Kriegsdienst anzunemmen kheineswegs gedacht, sondern lieber seiner Handtarbeit vorstehen und sich ehrlich ernähren wolle, ... gewaltettig in sein Quartier zu Franzen Langegger Pierprauer, beym Haar hindt ergriffenen Claidern, heimfiehren und darselbst verwahrlich enthalten lassen ...«. Auf dem Weg zum Kommandoquartier wurde der Gerichtsschreiber Balthasar Wischl-burger auf den Vorgang aufmerksam und protestierte sofort bei Kassalli und seiner Mannschaft mit dem Hinweis auf den kurfürstlichen Befehl vom 7. Januar des Jahres, der ausdrücklich Rekruteneinziehungen im Rentamt München untersagte. Der kaiserliche Leutnant hingegen berief sich auf ein Vollmachtspatent, das ihn dazu legitimieren sollte, auch Soldaten der abgedankten kurfürstlichen Armee für das kaiserliche Heer einzuziehen. Vorweisen konnte er ein solches Papier allerdings nicht.
So lief um die Mittagszeit eine tosende Menge von ledigen Salinenarbeitern und Handwerkern, die an den durch den Brand erforderlichen Baustellen in der Stadt tätig waren, mit »Knittl- und Scheitlsteckhen« vor dem Langeggerbräu zusammen, um die Freilassung ihres gewaltsam entführten Kameraden zu fordern. Wegen der unnachgiebigen Haltung Kassallis steigerte sich die Wut des »zusammengeloffenen Pöffels zur högsten Furi und Unsinnigkeit«. Trotz ihrer Bewaffnung – sie verfügten immerhin über Gewehre mit aufgesteckten Bajonetten – konnten die Soldaten nicht viel ausrichten. Sie wurden »ganz rabiatisch und von der grossen Menge, seithemallen in diesem ganz unverhofften und vielfeltigen Auflauff woll mehr als 200 Mann die högstschädliche Gegenwehr ergriffen, dergestalten hizig angefallen und mit Knittlstraichen solchgestalten übl traktiert und geschlagen, bis sie dem gewaltettig hinweckhgenommenen Hansen Hopfen und noch einen andern solchen seinen Cameraden zu der Entfliehung Lufft gemacht und hirunter nit allain er Leutenant, sondern auch noch 8 bis 10 seiner bey sich gehabten Undteroffiziere und gemainen Soldaten auf das Leben iämmerlich tractiert und geschlagen, allermassen vorgestert auf die Nacht ungefehr 6. Stundt nach solicher Attaque 2 daraus würckhlich mit Todt abgangen, und anheunt zur Erdten bestattet worden ...«. Bei den Toten handelte es sich um den aus Polen stammenden Korporal Jacob Buka und den Lüneburger Mathias Beck gleichen Dienstgrades.
Als sich die Gemüter einigermaßen beruhigt hatten, musste jeder halbwegs Besonnene auf die Walstatt beim Langeggerbräu blicken und feststellen, dass man einen Schaden mit unabsehbaren Folgen angerichtet hatte. Bereits am nächsten Tag erfolgte die eidesstattliche Vernehmung der Bräuleute, ihres Gesindes, der anwesenden Hausgäste, des Hemberger und Hopf sowie der beiden Bader der Stadt – letztere deshalb, weil sie am besten Art und Ursachen der Verletzungen schildern konnten, welche die Kaiserlichen bei der Auseinandersetzung davongetragen hatten. Martin Eichler, oberer Bader und Wundarzt, gab an, dass man ihm nach Beendigung des Tumultes zehn der jämmerlich Zerschlagenen und tödlich Verwundeten ins Haus gebracht hatte, so er an Iren empfangenen Wunden haillen, verpinden und curiern solle«. Da er nicht alle aufnehmen konnte, ließ er sieben davon seinem Kollegen, dem Unterbader, zukommen, von welchen einer über Nacht verstarb. Der andere Tote aber war in seinem Hause zu beklagen. Von den übrigen acht grausam malträtierten Soldaten habe der Leutnant »5 Wunden am Kopf empfangen« sowie erhebliche Blessuren an beiden Armen, Füßen und an anderen Leibsteilen, welche alle von den Scheitern, Knitteln und Tischfüßen der Täter herrührten, davongetragen. Falls sich kein Wundfieber einstellen würde, so zeigte sich der Oberbader optimistisch, würde er seine Patienten wohl durchbringen.
Bei der Vernehmung der Zeugen kamen manche Einzelheiten der »Schlacht« ans Tageslicht, wenngleich niemand gesehen haben wollte, wer die Schlägerei angefangen hatte. Am wenigsten konnte der Langegger selbst zur Aufklärung der Vorgänge in seinem Haus beitragen. Er verweilte um die Mittagsstunde bei den Herren Kapuzinern und kam erst zurück, als der Rumor schon sein Ende fand. Das besondere Interesse musste also der Aussage der Langeggerin gelten. Ihrer Ansicht nach hatte das provozierende Verhalten Kassallis die Eskalation hervorgerufen. So wies dieser den zufällig vor Ort erschienenen Husarenleutnant Seidl, der zur Entspannung der Lage eine Herausgabe des Hopf vorschlug, mit der trotzigen Bemerkung ab, er werde noch weitere ehemalige Soldaten aus der Stadt einfangen. Dass aber gerade sie, die Langeggerin, ein gerütteltes Maß Schuld an den Folgen der Massenkeilerei mittrug, sollte sich erst später herausstellen. Denn nicht alle Mitglieder des Werbekommandos waren mit der Gegenwehr so beschäftigt gewesen, dass sie nicht hätten sehen können, wie die Hauswirtin den Eindringlingen die hintere Tür geöffnet und so den Tumult erst richtig ausgelöst hatte! Bemerkenswerterweise aber schonte die Wirtin die Auer Salzleute nicht, als es darum ging, Plünderungen aufzudecken: »Sie haben Ime Leutenant all sein Sach hinweckh genommen, ja sogar die Schuch von denen Fiessen herunder gerissen, seine 2 guldnen Ring von denen Fingern, Ime all sein gelt aus denen Säckhen und die Parucken umb den Kopf hinweckh genommen«.
Im Großen und Ganzen deckten sich die Aussagen des Hausgesindes mit jener der Wirtin. Die Viehmagd konnte sich sogar an die Anfänge der Ausschreitungen erinnern, bei denen sich der Wirtssohn von der Au namens »Christ« hervorgetan hatte. Wer aber »die jämmerliche Schlögerey volbracht und veribt«, das wusste sie nicht, denn sie hatte sich im Verlauf der Auseinandersetzungen schützend vor Küche und Speisekammer gestellt, »damit inen nit gleichwoll alles Geschirr zerstossen, zerschlagen und zerbrochen worden, seithemallen die rasenden Auleith und Salzarbeiter alle Tisch, Bänk und Stuhlfiessen ab, auch umb ihrer gehabten Scheidtlen damit zuegeschlagen«. Sie und die Kellerdirn des Langegger konnten darüberhinaus bezeugen, dass neben dem Hopf noch ein aus dem Salzburgischen stammender Bauernsohn von den Werbern bewacht wurde. Als weitere Zeugen wurden drei Vachendorfer Burschen vernommen, die sich über Mittag zufällig in der Wirtsstube aufgehalten hatten. Sie gaben unter anderem zu Protokoll, dass etwa nach 12 Uhr »zwey Tisch voll ledige Salzarbeiter von der Au in die Stuben hinein khommen«, welche vorerst mit guten Worten ihren Kameraden Hopf herausbekommen wollten. Da aber der Leutnant seine Soldaten an die Gewehre rief, wären sie weggelaufen, jedoch bald in größerer Anzahl mit Knitteln und abgebrochenen Bankfüßen wiedergekommen. Wer allerdings die Schlacht eröffnet hätte, diese entscheidende Frage wussten auch sie nicht zu beantworten, denn sie wären »an Ihren Zöchtisch sizend geblieben und (haben) sich die Händl weither nichts angehen lassen«.
Der Kronzeuge, der 22-jährige Hans Hopf, schilderte dem Pflegsverwalter die Vorkommnisse äußerst sachlich und glaubwürdig. Zu seiner Person gab er an, dass er sich 1703 beim hiesigen Kastenamt als kurfürstlicher Soldat hatte anmustern lassen. Er sei dann zum Obrist Pettendorffischen Landausschussregiment gestoßen, welches Ende März 1705 zu Wasserburg abdankte, was er schriftlich belegen konnte. Über seine Ergreifung und Gefangennahme im Langeggerhaus konnte er hieb- und stichfeste Erläuterungen liefern. Von der um seine Person entstandenen Schlägerei im Wirtshaus hatte er wenig mitbekommen, da er die Wachstube nicht verlassen konnte. Im weiteren Verlauf der Ausschreitungen hatte er jedoch seine Chance zur Flucht gesehen und diese in einem günstigen Moment auch genutzt. Schließlich fand er gar noch ein verzeihendes Wort für seine Häscher: »Daß man sye kaiserlichen solchergestalten wegen seiner so ybl zerschlagen und zuegerichtet (habe), seye ime sehr laid«. Als weiterer Zeuge schilderte der Vater des Hopf seine Bemühungen beim Gerichtsschreiber und danach beim Salzmaier von Metzger, die unrechtmäßige Sache um seinen Sohn anzuzeigen, »dessen aber allen ungeachtet nichts ausrichten khinden«.
Der dramatische Vorfall in Traunstein wurde durch eine Paralelle in der Nachbarstadt Reichenhall unterstrichen. Sie passte so haargenau in das Bild, dass der Pflegsverwalter es für zweckdienlich hielt, in seinem Schreiben an die Kommission ausführlich darauf einzugehen. Beteiligt waren zwei ledige Bauernburschen aus dem Gericht Traunstein. Der 21-jährige Sebastian Unkhner von Wörglham und der 23-jährige Georg Aicher vom Bischofengut zu Hörgering hatten Vorspann für den Durchzug des Graf Sinzendorffischen Dragonerregiments nach Reichenhall zu leisten. Auf dem Rückweg begegneten ihnen auf dem sogenannten »Neuen Weg« in der Gegend des Mauthäusls kaiserliche Werber. Beide wurden sogleich vom Pferd und Wagen heruntergerissen mit der Begründung, »weillen (sie) dem Churfürsten aus Bayern under den Landtfahnen gedinnet, missen (sie) auch deme Kaiser auf soliche Weis einen Soldaten abgeben«. Gewaltsam führte man die beiden nach Reichenhall zurück, wo sie drei Tage im Bräuhaus festgehalten wurden. Doch auch in der Salzstadt kochte die Volksseele, nachdem man dort einen ortsansässigen Bauern in kaiserliche Dienste gezwungen hatte und zu den beiden Traunsteiner Gerichtsuntertanen sperrte. Es entwickelte sich ein Aufruhr, in dessen Verlauf die Gefangenen die Flucht ergreifen konnten. Ihr abenteuerlicher Ausbruch führte über ein Sailerhaus zur Stadt hinaus, von wo sie erst am Vortag der Vernehmung zu Hause ankamen. Allerdings ging es in Reichenall ohne Blutvergießen ab.
Für Traunstein aber musste mit dem Schlimmsten gerechnet werden. Die Befürchtung, dass sich die durch Feuersbrunst ohnehin schon schwer geschädigte Bürgerschaft »abermaßen nichts anders, als einen neuen Prandt, verderblichen Plinderung oder andern erschröcklichen Gewaltthaten zu besorgen haben«, sollte sich bald bestätigen. Die Verantwortlichen mussten in der Folgezeit größte Anstrengungen unternehmen, um die Stadt vor Konsequenzen zu bewahren.
Die Bedrohung der Stadt als Folge des Aufstandes
Schon am Tag nach der »Schlacht« reisten der Pfarrer Johann Balthasar Andensteiner, der Salinenwaldmeister Johann Pezzoli und zwei Bürger des inneren Rates, der Bierbrauer Andreas Kränich und der Lederermeister Johann Lechner, zum kaiserlichen Hauptmann Ferdinand von Kellern nach Trostberg, um sich für das leidige Ereignis zu entschuldigen. Darüberhinaus sandten sie einen Bericht an den kaiserlichen Generalfeldmarschall Graf Franz von Cronsfeld in dessen Landshuter Hauptquartier. Umgehend mussten alle den kaiserlichen Soldaten abgenommenen Gegenstände zurückgegeben werden. So konnte Kassalli eine Woche später eine bedeutende Plünderungsmasse in Empfang nehmen: Neben zwei Flinten, einer Patronentasche, drei Stoßdegen und einem Bajonett auch seinen roten Soldatenrock mit gleichfarbenen Knöpfen sowie sein leinenes Soldatenhemd. Ferner gaben die Auer Burschen eher unbedeutendes Beutegut wie etwa eine Schuhbürste und einen in Papier gewickelten Schnupftabak zurück, »welch alles dergestallt ruiniert, das selbiges künftig nit mehr zu gebrauchen«.
Die Dramatik der folgenden Tage und Wochen weiß uns am besten der Gerichtsverwalter Ignaz Loichinger zu schildern. Am Dienstag, den 30. April 1705, etwa um 16 Uhr nachmittags, trafen der kaiserliche Obristwachtmeister Geroldin von dem in Italien stehenden Obrist zum Jungischen Regiment, Hauptmann von Kellern und Leutnant Kassalli mit etwa 40 Rekruten aus Trostberg kommend in Traunstein ein und begehrten Quartier. Der Obristwachtmeister gab bald zu erkennen, warum man gerade hier Quartier bezog. Er zitierte den Salzmaier von Metzger und, in Vertretung des abwesenden Gerichtsverwalters, den Gerichtsschreiber Wischlburger in sein Quartier bei dem Bierbrauer Johann Jähner und begegnete den anwesenden Amtspersonen mit den »allerhizigsten und beschwerlichen Worten«. Er sei von dem kaiserlichen Generalissmus Prinz Eugen von Savoyen befehligt, Wiedergutmachung für die Exzesse um seinen Leutnant an der hiesigen Stadt zu verüben. Er fordert »Blueth für Blueth – oder Abstattung einer erkleckhlichen Summa Gelts von 14000 fl«. Da 14000 Gulden unmöglich von der ruinierten Stadt aufzubringen waren, erbat sich die anwesende Delegation, die kaiserliche Administration in die Sache einbinden zu können. Dies war aber anscheinend nicht nach dem Geschmack des kaiserlichen Militärkommandos. Gegen 19 Uhr ritt der Obristwachtmeister schließlich verärgert zur Stadt hinaus, um sich im Haslacher Pfarrhof mit seinem Hauptmann und Leutnant Kassalli zu treffen.
Zu Mittag des nächsten Tages, es war der 1. Mai 1705, wurden alle drei Parteien in den Pfarrhof geholt. Geroldin wiederholte seine Forderung vom Vortag und drohte, »wenn er solches von uns in Gitte nit yberkhommen und habhafft werden solle, daß er dies alles durch eine ime angeschaffte, uns sehr schmerzlich fallende militärische Exeuction zubehaubten bevelcht und intentioniert wehre«. Die Anwesenden verwiesen abermals auf ihre Zahlungsunfähigkeit. Auch ein geringerer Betrag wäre nach ihrem Dafürhalten nicht möglich, »seitemallen ... das Städtl von den stetig erlittenen, doppelt feindtlichen Einfall (und) durch die erpressten unerschwingliche Brandtschatzungen genzlich erschöpft und hiryber einen als andern Weeg noch genzlich verprenten Orth aufzubringen (ein) unmögliches Begehren (sei)«. Sie verwiesen auch auf die nicht geringe Teilschuld Kassallis, dessen Verhalten den Aufstand erst richtig entfacht hatte. Schließlich wurden auch die Vertreter der Stadt, Amtsbürgermeister Gruber und der Ratsherr und Lebzelter Adam Hörbeckh, zusammen mit dem Stadtschreiber hinzugezogen. Auch sie konnten nur beteuern, dass sie sich »bey denen genzlich erschöpften und abgengigen Geltmitln zu vill oder wenig nit einlassen khinden und baten erneut, die kaiserliche Generalität in dieser Sache befinden zu lassen ...«.
»Hirauf ist der Obrist-Wachtmeister Scherolding endtlich voller Zorn und Unwillen auf das Pferdt gesessen mit einsonder villmahl wiederholter Betrohung, das er bey diesem Städtl Traunstain, der hirin verhandenen Bürger und in dem Gericht ansässigen Paurschafft, auch dennen aus dem Salzmairamts Au befindtlichen Salzärztleithen als Urheber des monierten Tumults, durch ein gewiss noch zuruckh stehend, zu seinem Regiment gehörige Soldatesca, durch die zu erwarten habende militärische Exekution ime selber aine solche Satisfaction verschaffen und (er) uns dergestallt tractiern lassen wolle, daß wür gewiss winschen sollen und werden, sein uns angebottene Gitte und Willferigkheit amplecitiert und ime die begehrte Summa gegeben zu haben«.
Der Gerichtsschreiber Wischlburger brachte es auf den Punkt, wenn er davon sprach, dass faktisch alle für »vogelfrey« erklärt wurden. Kassallis Zornausbrüche äußerten sich endlich in dem hässlichen Beisatz, »sein Kopf (werde) solang nit ruhig seyn, bis er seine Händt in unserem Blueth gewaschen haben werde«. Nach einem ausführlichen Bericht an die Hofkammer verließen Loichinger und Wischlburger Traunstein und flüchteten heimlich nach München. Aus ihrem Exil schoben beide noch einmal detaillierte Erläuterungen zu den Traunsteiner Vorfällen nach, die »per Staffetta« nach Landshut gingen. Wischlburger sah sich als erklärter Erzfeind des kaiserlichen Leutnants Kassalli, nachdem dieser geäußert hatte, »es misse ihme nichts mehrers reuen, als daß er mir, Gerichtsscheiber, an deme entwichenen Freitag, den 1. Mai, nit mit seinem Pajonet bey Herrn Pfarrer zu Haslach in der Stuben durch den Leib gestossen habe«. Beide Gerichtsbeamte setzten sich nachhaltig für eine Abberufung des rachsüchtigen Leutnants ein, »daß dieser der Orthen hinweckh und andershin commandiert werden mechte«.
Der kurfürstliche Hofkammerrat Franz Joseph von Unertl verwendete sich bei der Administration in Lands-hut zugunsten der Traunsteiner für eine deutliche Abschwächung der überhöhten Entschädigungsgelder. Am 20. August 1705 traf beim hiesigen Pfleggericht die von der »Commissione Administrationis Cäsariae« festgelegte tatsächliche Strafzumessung ein. Dieses Papier mag in Traunstein allenthalben Aufatmen ausgelöst haben, denn es forderte nur zehn Prozent der ursprünglichen Reparationen. Davon hatte, bei Androhung militärischer Exekution, innerhalb von vier Tagen das Salzmaieramt als Urheber des Aufstandes 600 Gulden zu zahlen. 400 Gulden trafen den Stadtmagistrat, da man nachweisen konnte, dass ein Bürger der Stadt die Salzleute zum Aufruhr angestachelt und sogar die Bürgermeistersöhne Hand angelegt hatten. Außerdem hatten die übrigen Bürger, »nit allein, wie sich gebührt hette, dem Handl nit abgeholffen, sondern auch mit- und beygangen und gern gesehen, was vorbeygangen«. Der Gerichtsschreiber Balthasar Wischl-burger sollte mit einem Strafgeld in Höhe von 200 Gulden belegt werden. Es wurde ihm angelastet, er hätte als »kaiserlicher Beamter« seiner Pflicht nicht Genüge geleistet, beziehungsweise »durch Gerichtsmittl die Gewald nit abgewendet«. Und schließlich sollte der Langeggerbräu für das Vergehen seiner Gattin, »weilen Sie allerdings an dennen vorgangenen Mortthatten durch Eröffnung der hinder Thür kheine khleine Ursach«, ebenfalls mit 200 Gulden bestraft werden. Das musste dem wackeren Bierbrauer und Gastwirt umso schmerzlicher erscheinen, als er ohnehin durch den Rumor beinahe sein gesamtes Inventar verloren hatte. Trotz mehrfacher Unschuldsbeteuerungen erkannte man die Aussage seiner Hauswirtin, die Auburschen selbst hätten die ominöse Hintertür aufgebrochen, als »von einem nichtigen Halt« an. Da nützte es auch nichts, dass sie angab, es wäre ihr auch noch ein Faß Branntwein im Wert von 100 Gulden zerschlagen worden, weshalb »sey sich zu ainigem Beytrag nit bequemben oder einstehen will«.
Doch damit war nur ein Teil der Rechnungen beglichen. Auch Kassalli erhob separate Forderungen in Höhe von 4391 Gulden. Er veranschlagte »vor saine Schmerzen« 1000, »vor denen acht Blessierten ihre Schmerzen« 500 Gulden. Für seine während der Schlägerei verlorengegangenen Papiere setzte er 1000 Gulden an, die zwei ihren Verletzungen erlegenen Korporäle waren ihm 900 Gulden für die Regimentskasse wert. Auch in diesem Fall bewies die sonst oft gescholtene Administrationskommission Fingerspitzengefühl und reduzierte den überzogenen Antrag auf 1421 Gulden. Um die Aufteilung dieser neuerlichen Reparationsgelder gerecht vornehmen zu können, wurde für den 14. August frühmorgens um 8 Uhr eine Konferenz einberufen, deren Ausgang allerdings unbekannt ist. Die Salzarbeiter, die nach der Schlägerei zum Teil namentlich erfasst worden waren, sollten zwar zur Rechenschaft gezogen werden, doch sie galten als flüchtig. Außerdem war man sich amtlicherseits nicht darüber im Klaren, »wie man ungeacht ihrer menniglich bekannten Unvermögenheit ain ergibiges Quantum zusammenbringen und erlegen möchte«. Ein Prozess gegen die »Urheber des schweren Traktaments« ist ebenso wenig bekannt wie eine im Namen Kaiser Josephs I. geforderte Wiederergreifung der entflohenen Rekruten Hemberger und Hopf.
So kann folgendes Fazit der Vorfälle an jenem 5. April des Jahres 1705 gezogen werden: Die drohende Gefahr eines gänzlichen Untergangs der Stadt Traunstein konnte durch die gleichermaßen unerschrockene wie besonnene Verhandlungstaktik der verantwortlichen Beamten abgewendet werden.
AR
11/2005